Corona, Klima, Christentum und Machiavelli. Ein scheiternder Versuch, die Apokalypse zum Lachen zu bringen

Lesezeit14 min

Der Corona-​Diskurs bedient sich apokalyptisch-​machiavellistischer Methoden, um die Lebenswelt der BürgerInnen durch Medizinisierung neu zu gestalten. Damit kehrt ein religiöses Denkmuster im wissenschaftlichen Mantel zurück. Freilich verschmutzen sich dabei Politik, Medizin und Wissenschaft kräftig gegenseitig, was ihre Performanz stärkt.

Der Corona-​Virus […] führt in keinen Weltuntergang. Das haben nicht mal die großen Pestepidemien geschafft. Die spanische Grippe war viel schlimmer als die Erkältungskrankheit von 20/​21. So wenig wird die Klimaerwärmung den Weltuntergang herbeiführen können, gab es schließlich in der Geschichte Warmzeiten mit fast gletscherfreien Alpen, nämlich im Hochmittelalter und in der Blüte des Römischen Reiches zwischen 200 v. und 300 n. Chr.

I. Die jüdische und die christliche Apokalypse

Der Weltuntergang ist eine religiöse Vision mit pädagogischem Sinn – und zwar in der jüdisch-​christlichen Hemisphäre. Asiatische Religionen kennen den Weltuntergang so wenig wie die antiken Religionen. Rom galt als die ewige Stadt, was im christlichen Katechon nachhallt, der den Weltuntergang aufhalten soll. Ähnliches gibt es im Judentum, das die Apokalypse erfand. Es handelt sich dabei um einen Gerichtstag, den der Messias abhält, bei dem freilich die Bösen in den Ofen kommen, während die Guten weitermachen dürfen.

Die Welt geht am Tag der Apokalypse also nicht unter, sondern wird durch einen göttlichen Eingriff neu geordnet – man denke an die Sintflut und die Arche des Noah oder an die Zerstörung von Sodom und Gomorra. Vergleichbar mit dem Katechon spielt der Begriff des Aufschubs in der jüdischen Ethik eine wichtige Rolle. Wer sich gemäß den jüdischen Gesetzen gut verhält, trägt dazu bei, dass die Welt nicht entartet, so dass der Messias noch nicht kommen muss, um Gericht zu halten. Freilich verzögert sich damit auch die Ankunft des Messias, der ja andererseits sehnlich erwartet wird.

Erst das frühe Christentum erweitert die Apokalypse zu einem umfassenden Weltuntergang, also einem Ende der Welt als Jüngstes Gericht, nach dem die Welt nicht weitergeht, sondern die Gerichteten entweder ins ewige Glück des Paradieses oder in die ewige Verdammnis einlaufen. Das Gericht ist final und deswegen das Kommende ewig.

Zunächst erwarteten die Christen freudig die baldige Wiederkehr Christi, die sich seit der Zerstörung von Jerusalem und des jüdischen Tempels 70 n. Chr. nicht mehr als ein vorübergehender messianischer Gerichtstag, sondern als ein totales Weltende präsentiert. Die Vision dieser Weltuntergangsvorstellung erzählt ein kleinasiatischer Wanderprediger namens Johannes um das Jahr 100 herum als eine Geschichte, die als Offenbarung in die christliche Bibel Eingang fand und diese abschließt. Es handelt sich nicht, wie viele annahmen und manche immer noch glauben, um den Evangelisten Johannes.

Schon dieser radikale Prediger Johannes, der mit den römischen Behörden genauso im Clinch lag wie mit den christlichen Gemeinden, benutzte seine Vision des Weltendes zur pädagogischen und psychologischen Lenkung seiner Zeitgenossen. Die Technik, mit der man eine Apokalypse erzählt, ist letztlich immer dieselbe: Einerseits gibt es gewisse Anzeichen für ein bevorstehendes Ende – Zunahme böser Menschen oder Naturkatastrophen z. B., die man aber immer bemerken kann, wenn man unbedingt will. Das Ende tritt trotzdem letztlich überraschend ein, so dass man dann nichts mehr für seinen Gnadenstand tun kann. Auch die anderen können nicht mehr für einen beten. Mit diesem finalen Ausgeliefertsein hält man die Zeitgenossen dazu an, nach den Vorstellungen zu leben, die der Radikale predigt.

II. Die religiöse Apokalypse in den modernen Wissenschaften

So entwickelt sich die Apokalypse als totaler Weltuntergang im Laufe der Jahrhunderte immer stärker zu einer politisch-​religiösen Pädagogik, die den jeweiligen Zeitgenossen das geforderte Verhalten abverlangt. Sie versetzt sie in Angst und Schrecken, so dass sie sich lenken lassen. Den letzten Höhepunkt religiöser apokalyptischer Erwartung gab es um 1500, und führte damals zu diversen Exzessen.

Die mediale, medizinische und politische Präsentation der Corona-​Thematik entspricht durchgängig der Pädagogik der religiösen Apokalyptik: Man droht mit Zusammenbrüchen diverser sozialer Systeme, beschwört ständig in den Medien die ungeheure Gefährlichkeit der Krankheit und versetzt die Zeitgenossen in Angst und Schrecken, so dass sie sich den medizinischen Maßnahmen hilfesuchend unterwerfen.

Das hat natürlich eine wissenschaftliche Vorgeschichte und findet keineswegs zum ersten Mal statt. Denn seit der frühen Neuzeit breitete sich das apokalyptische Denken in den sich damals gründenden modernen Naturwissenschaften aus. Wegbereiter war Anfang des 16. Jahrhunderts Leonardo da Vinci, der wenig religiös war und stattdessen Naturstudien betrieb. Versteinertes Meeresgetier im Gebirge führte ihn zu falschen, sintflutartigen Vorstellungen: Die Menschheit sei von der Natur nicht nur bedroht, sondern könne auch als ganze von ihr in den Untergang gerissen werden. Für da Vinci befand sich die Menschheit am Abgrund, wie er es in seinen Bildern darstellte.

Offensichtlich ließ sich da Vinci trotz seiner Areligiosität von der damals verbreiteten apokalyptischen Stimmung anstecken. Das pädagogische Untergangsdenken brannte sich über tausend Jahre lang in die Gehirne der Lebenden ein. In den Jahrhunderten vor 1500 erschienen denn auch immer mehr Bücher zur Apokalypse; häufig nur die Offenbarung des Johannes reich bebildert, manchmal auch ausschließlich mit Bildern.

Ein Zeitgenosse da Vincis, Niccolò Machiavelli, der Gründer des modernen Staatsdenkens, bediente sich daher nicht von ungefähr derselben Pädagogik, mit der er dem Fürsten Ratschläge zum erfolgreichen Regieren gab. Machiavelli erkannte, dass es bei der Apokalyptik mit ihren grausamen Details nicht um den Weltuntergang geht, sondern dass es sich um eine pädagogisch nützliche Technik der Herrschaft handelt.

Da die Liebe des Volkes wankelmütig ist und sich noch so viele Wohltaten des Fürsten ihrer nicht versichern können, empfiehlt Machiavelli dem Fürsten, nur das zu tun, was in seiner Macht liege. Und das ist: die Menschen das Fürchten lehren. Dazu nämlich kann sich der Fürst der Grausamkeiten genauso bedienen, die in seiner Macht liegen, wie der Drohungen mit Gewalt, für die das gleiche gilt. Indem der Fürst seine Untertanen derart in Schrecken versetzt, zwingt er sie zum Gehorsam, stabilisiert seine Herrschaft und den Staat insgesamt.

Nichts anderes betreibt die Corona-​Politik mit medial aufbereiteten, grausamen Schilderungen der angeblichen Gefahr genau wie auch mit grausamen Maßnahmen der Staatsgewalt: Einsperrung, Isolation, Entzug der Grundrechte, Zerstörung von Lebensformen nicht zuletzt auch durch polizeilich durchgesetzte hohe Strafen. Die Corona-​Politik ist strukturell machiavellistisch mit einem apokalyptischen Migrationshintergrund.

III. Das machiavellistische Prinzip der pädagogischen Furchterzeugung

Die Furchterzeugung als Regierungstechnik hat sich insgesamt seit 500 Jahren zunehmend intensiviert, selbst unter demokratischen Umständen, ohne dass das besonders bemerkt worden wäre und ohne dass dergleichen zu einem nachhaltigen Thema in der Politikwissenschaft avancierte. Hier verschleiern alle Beteiligten – Staat, Medien, Medizin – ihre eigene Herrschaftstechnik, sind schließlich alle drei an einer Herrschaft der Eliten interessiert, die sie selbst ausüben und zwar primär durch die Erregung von Furcht, die die Menschen zu gehorsamen Untertanen beziehungsweise Patienten macht. Darum bemüht sich auch die Corona-​Politik mit einem erheblichen propagandistischen Aufwand. Die politische Pädagogik der Propaganda darf jedoch nicht bemerkt werden, und so versteht man wissenschaftlich und feuilletonistisch unter Machiavellismus hübsch verschleiernd nur eine morallose Politik.

Das Risiko der Demaskierung erscheint indes nicht besonders hoch. Denn die davon Betroffenen wollen das gar nicht so gut maskiert wissen, sondern viele verbinden vielmehr ihre eigene Furcht mit der Hoffnung, dass sich davon auch die bösen Nachbarn einschüchtern lassen, so dass dadurch der Staat ihr eigenes Leben wie ihr Eigentum vermeintlich sichert, wie es Thomas Hobbes und John Locke dem liberalen Staat ins Stammbuch geschrieben haben. Vor allem Hobbes stützt den von ihm entworfenen modernen Staat auf die Furcht der Bürger. Und wer hätte das wirklich nachhaltig kritisiert außer Leo Strauss, dem Hobbes indes nicht zu weit, sondern nicht weit genug geht.

So beteiligen sich bis heute die Bürger bereitwillig auch noch selbst daran, diese Furcht als Blockwarte zu verbreiten und zu verstärken und verfolgen jene mit Hass, die sich davon nicht schrecken lassen. Angstmache durchzieht neuerdings das ganze Leben der Einzelnen in allen Bereichen; die Angst avanciert zu einem verbreiteten Habitus, an dem man sich fleißig ergötzt, wenn die anderen zittern. So erzieht man dann auch noch seine Kinder.

Gerade die modernen Wissenschaften haben den apokalyptischen Gestus in ihren Forschungen und Analysen übernommen, während in den großen aufgeklärten Kirchen ein solches Denken und eine solche Drohgebärde bis heute verblasste. Schließlich fürchten sich nicht mehr so viele Menschen, selbst Gläubige, vor den Höllenstrafen nach dem Jüngsten Gericht – sie fürchten eher um das diesseitige Leben. Nur Fundamentalisten, besonders Kreationisten stützen sich noch auf solche Gottesfurcht. Doch die Krankheitsfurcht artet längst viel schlimmer aus.

Die Wissenschaften – gleichgültig ob die Natur- oder Sozialwissenschaften – haben dagegen schon lange erkannt, dass sich mit der Furchterzeugung die eigene Macht, d. h. die eigenen Pfründe verbreitern lassen. Denn Politiker, Ökonomen und Bürokraten, die fleißig machiavellistisch unterwegs sind, sind selber Kinder ihrer apokalyptisch eingestellten Zeit und fürchten sich vor dem Niedergang ihrer eigenen Macht.

[…]

V. Von der Medizinisierung zur Ökologisierung und zurück

Das Thema, das sich mit der Ökologisierung der Gesellschaft intensivierte, ist die Gesundheit, die bei fast allen ökologischen Bereichen eine explizite oder implizite Rolle spielt. Das hat die sowieso schon zunehmende Ausdehnung des medizinischen Sektors eminent beschleunigt. So avancierte das Körperheil zu einem der hegemonialen Diskurse, der heute umso mehr selbst dem ökonomischen Diskurs Konkurrenz macht, wie man es in der Corona-​Politik erleben durfte. Plötzlich hatte die Ökonomie nicht mehr die höchste Priorität, sondern das Medizinwesen, was sogar vermeintlich eherne finanzpolitische Prinzipien außer Kraft setzte – man denke an die Verschuldung der Staaten, an die sich erweiternden Spielräume der EZB und der EU. Was weder dem Sozialstaat als Ganzem jemals gelang, noch den Mitgliedsländern der EU beispielsweise in der Eurokrise, konnte sich erst unter der Vorherrschaft des medizinischen Diskurses durchsetzen. Und weil man von Seiten der Politik den Märkten eine weitere extreme Niedrigzinspolitik wie Entschädigungen verspricht, unterwerfen sich auch die globalen Konzerne der Hegemonie dieses Diskurses, der nun mal ein konkurrenzlos globaler ist.

Grundsätzlich verdankt sich diese strukturell langfristige Entwicklung sowohl der apokalyptischen wie der machiavellistischen Tendenz des medizinischen Diskurses. Eng verbunden mit einer machiavellistischen politischen Pädagogik gewann der sich seit einigen Jahrhunderten entwickelnde, moderne bürokratische Staat auf diese Weise seine biopolitische Neigung. Die Struktur der politischen wie der sozialen Menschenlenkung ist in allen Bereichen dieselbe.

Besonders eklatant präsentiert sich diese Pädagogik in der Medizin selbst. Ob biopolitische Lenkung des Staates oder individuelle medizinische Betreuung – die Medizin neigt dazu, sich an worst case-Szenarien zu orientieren und drängt dem Staat wie den Individuen damit die medizinisch beabsichtigten Maßnahmen auf.

Damit verlängert sich die pastorale Herrschaft einer Kirche über ihre Schäflein wie von Monarchen über ihre Kinder: Das Gesundheitswesen mit ihren großverdienenden Bischöfen und Konzernen tritt gerne das Erbe der Hüter des Weltunterganges an. So operiert die Medizin machiavellistisch und lenkt ihre Patienten durch die Erzeugung von Furcht gleichfalls pastoral: Der angeblich mit wissenschaftlichem Wissen ausgestattete Experte wendet sich mit seiner Kümmerkunst an die unwissende, die Sprache nicht richtig sprechen könnende Herde, die immer „der“ Virus sagt.

Zu solcher grausam ausartenden Angstpolitik ist die Medizin ja auch bestens ausgestattet. Denn natürlich sammelt sie unendlich viele fatale Verläufe von Krankheitsgeschehen, die sie je nach Lenkungsinteresse gegenüber den Betroffenen in Anschlag bringt, diese dadurch in Schrecken versetzt, so dass sie die entwürdigenden Ratschläge der Mediziner nicht nur bereitwillig annehmen; vielmehr stellt man auch von Seiten der Politik praktisch alle relevanten Grundrechte zur Disposition. Sie werden durch einen Ausnahmezustand aufgehoben, so dass die Medizin beinahe schalten und walten kann, wie sie will – wenn sie nicht gelegentlich auf ihre fügsamen Politiker und Wirtschaftsführer etwas Rücksicht nehmen müsste, die schließlich dafür sorgen, dass die Bevölkerung das Medizinwesen bezahlt – was diese zu einem ziemlich großen Teil auch gerne tut.

VI. Die Corona-​Politik zwischen Machiavellismus und Apokalyptik

So klingt immer auch ein apokalyptischer Diskurs an, wenn man die propagierte Sachlage im einzelnen Fall als extreme individuelle Bedrohung oder ein Katastrophenszenario bezüglich einer sozialen Situation an die Wand malt. Im Fall von Corona spielen beide Ebenen zusammen. Das Individuum wurde von vornherein – medial berieselt von Medizinern und Gesundheitspolitikern – als extrem gefährdet deklariert, völlig unabhängig von seiner individuellen Konstitution, der man medizinisch natürlich keine Beachtung schenken kann. Jeder individuelle Umgang mit dem politisch-​medizinisch organisierten Corona-​Geschehen wurde sogar verboten und die Unterwerfung unter extrem autoritäre, alle Menschenwürde wie alle Menschenrechte aufhebende Maßnahmen verlangt und mit nackter Gewalt – hohen Strafandrohungen – durchgesetzt.

Hier wurde gleich doppelt machiavellistisch und obendrein apokalyptisch operiert. Einerseits erzeugt man durch die Ausrufung einer gefährlichen Krankheit genauso Furcht wie durch die Strafandrohungen. Man traut also der Ausrufung alleine nicht, schließlich ist ein Risiko immer eine individuelle Einschätzung, die sich nicht objektivieren lässt. Der Staat kann eine solche allgemein geteilte Risikoeinschätzung tendenziell nur durch eine massive Furchterzeugung herstellen, so dass sich das Individuum aus Angst in die Hände der Experten flüchtet. Man prophezeit dem Individuum den Tod, verbunden mit schwerem Leiden, oder mindestens langanhaltendes massives Leiden, falls es überleben sollte. Mit dem hübschen Terminus Long-​Covid-​Patient verbindet sich das worst case-Szenario mit der Letalität im Sinn der ordinary language. Nur der Gehorsam erreicht einen Aufschub.

Andererseits operiert auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene der medizinische Diskurs eher mit dem Modell der christlichen Apokalypse, bei dem zwar auch nicht mehr die ganze Welt untergehen muss, aber einige bestimmte Welten, und zwar jene, für die einzelnen besonders wichtigen Lebenswelten – als ob mit dem Untergang des Medizinsystems eine ganze Welt zusammenbräche. Ganz zu Anfang der Corona-​Politik propagierte die deutsche Kanzlerin, dass man das Medizinsystem retten müsste, und sie wiederholte den Satz auch bei der sogenannten zweiten Welle – nur die alltagssprachliche Assoziation ‚Grippewelle‘ durfte man dabei nicht äußern, das verstieß gegen die apokalyptische Sprachregelung. Ein anderes Schreckgespenst: Lebenswichtige Operationen müssten verschoben werden – als ob man je von heute auf morgen einen Termin in solchen Angelegenheiten bekommen hätte, wenn man nicht die englische Königin ist. Im Fall eines schweren Unfalls findet sich in der Nähe kein Hospital, das noch Behandlungskapazitäten hätte. Wie schrecklich!

Im Weiteren sollen dann auch Ökonomie und Bürokratie zusammenbrechen – Lieferketten zerbrechen und man müsste sich mit Nudeln eindecken: Die durch diese Angst erzeugte Klopapierkrise; es gab eine Weile auch keine Desinfektionsmittel mehr in den Läden zu kaufen, als ob der Übertragungsweg des Corona-​Virus haptisch besonders gefährlich wäre. Aber Hauptsache eine allumfassende Angst wurde erzeugt ohne jegliche Relativierungen – alles ist gefährlich –, damit sich die BürgerInnen alle Maßnahmen gefallen lassen, was ja auch weitgehend gelang. Die machiavellistisch apokalyptische Argumentation hatte durchschlagenden Erfolg.

VII. Der medizinisch-​göttliche Eingriff und die Wiederkehr des Untergangs

Es gehört noch ein weiteres apokalyptisches Element in den medizinischen Diskurs, das aus der jüdischen Apokalypse stammt, nämlich jener bereits erwähnte Eingriff Gottes, der schließlich jenseitig allen Rechts erfolgt, genauso wie die sogenannten Hygieneregeln etc., die alles Leben hospitalisieren und damit Kultur und Gesellschaft zerstören, die dann nach medizinischen Vorstellungen – die Bösen in den Ofen – neu aufgebaut werden können. Zugegeben, ganz so weit ist man noch nicht, das In-​die-​Öfen-​stecken lässt noch auf sich warten. Aber meine eigene Diagnose gerät hier selbst in ein apokalyptisches Fahrwasser, denn man weiß nicht, was von der Macht der Medizin bleiben wird und wie weit das soziale Leben nicht wirklich neu gestaltet wird – eine Apokalypse nur jener, die sich von der Medizin erschrecken lassen.

Es ist auch klar, dass vor einem solchen Hintergrund von Seiten der Medien wie der Politik alles getan werden muss, um den Eindruck zu vermeiden, dass de facto die Demokratie am Ende ist, weil dieser nämlich durch den medizinischen Eingriff Gottes ein medizinischer Wächterrat ähnlich dem im Iran vorsteht, der Demonstrationen verbieten lässt, weil sich deren TeilnehmerInnen nicht an die Maßnahmen halten, und der jegliche Opposition als Verschwörungstheorie oder als Volksfeindschaft diffamiert. Nein, das ist natürlich eine glückliche Demokratie, ehrenwerter geht es gar nicht.

Das mag ebenfalls übertrieben apokalyptisch klingen als Angst davor, dass die Apokalypse sich durchsetzt. Doch solange Wächterrat und Notstandsgesetze – die dem Namen Gesetz keine Ehre bereiten – das Grundgesetz aushebeln, kann der medizinisch-​göttliche Eingriff jederzeit wiederkehren, sollte der Wächterrat nach dem Ende der Corona-​Politik aus der Öffentlichkeit auch für eine Weile mehr oder weniger verschwinden. Hintergründig muss er nach momentanem Stand der Dinge bleiben, schließlich könnten epidemische Krankheiten ja jederzeit wiederkehren. Also wiederum apokalyptisch gesprochen: Die medizinische Sintflut kehrt wieder, wenn die Leute ihr Leben nicht ändern. Dann gibt es keinen Aufschub.

Und just Politiker fordern, dass man künftigen Epidemien vorbeugen müsste, was nichts anderes bedeuten kann, als dass das soziale Leben unter der Drohgebärde des göttlichen Eingriffs entsprechend vorsorgend weiterhin organisiert werden könnte: eine dystopische Perspektive? Für die meisten eine messianische! Dann kommen die Bösen endlich in den Ofen.

Abgesehen von der stattfindenden Katastrophe der Corona-​Politik lauern damit die machiavellistisch-​apokalyptischen Szenarien, die sich freilich nicht bösen kleinen Tierchen verdanken, sondern den Machtansprüchen von Medizin und Staat, die den Menschen endlich wieder vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben: Die Apokalypse als Rückseite derselben, beziehungsweise als deren Performanz.

[…]

Dies ist die gekürzte Version eines Artikels aus der aktuellen Ausgabe der Philosophiezeitschrift Narthex. Heft für radikales Denken zum Thema Apokalyptik. Sie kann über die Internetseite Halkyonischen Assoziation für radikale Philosophie (HARP) zu einem Preis von 10 € zzgl. Porto bestellt werden. Seit April 2021 hält Hans-​Martin Schönherr-​Mann Vorlesungen über die philosophische Kritik der Corona-​Politik und der gegenwärtigen politischen Situation im Allgemeinen auf dem Youtube-​Kanal der HARP. Im Februar 2022 soll eine von der HARP herausgegebene Broschüre mit dem Titel Medizin als göttliche Gewalt. Philosophische Kritik der Corona-​Politik erscheinen, in der Hans-​Martin Schönherr-​Mann seine Thesen in schriftlicher Form zusammenfasst. Sie kann ebenfalls direkt bei der HARP bezogen werden.

Hans-​Martin Schönherr-​Mann, Professor für politische Philosophie am Geschwister-​Scholl-​Institut der Uni München; regelmäßiger Gastprofessor an der Uni Innsbruck; weitere Gastprofessuren an der Uni Turin, Venice International University, Eichstätt, Regensburg, Passau. Themenschwerpunkte: Politische Philosophie der Emanzipation, Bildungsphilosophie, Medizinisierung der Gesellschaft, Existentialismus, Poststrukturalismus, Sprachphilosophie. Jüngste Publikationen: Gesicht und Gerechtigkeit – Emmanuel Lévinas’ politische Verantwortungsethik (Innsbruck Univ. Press 2021); Sartres Existentialismus als politische Philosophie des Widerstands (BoD 2021).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert