Der Polizeistaat zeigt sein hässliches Gesicht. Wildwest in der Münchner Innenstadt

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Dass der gestrige 29.12. kein ruhiger Abend in München sein würde, stand bereits fest. Nachdem die letzten Mittwochabende in München problemlos zehntausend Demonstranten und Spaziergänger auf die Straße gebracht hatte, machte sich in der Stadtregierung offenbar Angst breit. »Corona-​Spaziergänge« wurden untersagt und Teilnehmende bereits im Vorfeld mit absurden Bußgeldern bedroht. OB Reiter hatte angekündigt, auf Eskalation zu setzen. So wenig sonst auf die Versprechen von Politikern zu geben ist, dieses wurde gehalten: Und so zeigte sich schon am frühen Abend an Marienplatz und Stachus ein massives Polizeiaufgebot, wie es nicht einmal bei Terroranschlägen aufgefahren wird. Die abends üblicherweise belebten Plätze waren mit sechs oder mehr Mannschaftswagen abgesperrt, außerdem patrouillierte Polizei in U‑Bahn und S‑Bahn-​Bereichen. Ein Bild wie im Krieg. Und das alles wegen eines nicht genehmigten Spaziergangs.

Die Spaziergänger – nach offiziellen Angaben, die erfahrungsgemäß meist deutlich zu niedrig angesetzt sind, einige Hundert, nach anderen Angaben rund 5000 – waren offenbar lose über die gesamte Innenstadt verteilt. Nach Auskunft verschiedener Teilnehmer bewegten sie sich ab etwa 18:30 Uhr zwischen Geschwister-​Scholl-​Platz, Marienplatz, Stachus und Königsplatz. Polizeikolonnen mit Blaulicht durchkämmten die Innenstadt. Die Spaziergänger verhielten sich friedlich, hin und wieder wurde »Friede – Freiheit« oder Ähnliches skandiert, im Bereich Marienplatz auch lautstark mit Pfeifen verstärkt.

Am Marienplatz wurde eine religiöse Veranstaltung durch Polizei gestört. Etwa Hundert Rosenkranzbetende – in der bayerischen Hauptstadt sicher alles andere als ein exotischer oder gar revolutionärer Umtriebe verdächtiger Anblick – hatten sich zum gemeinsamen Gebet eingefunden. Nach Aussagen von Teilnehmenden störten Polizeibeamte die Religionsausübung, indem sie ohne Abstand durch die Reihen der Betenden patrouillierten und die Gläubigen schließlich vertrieben. Grund waren offensichtlich zwei kleine Kerzen, die von Gläubigen als religiöse Symbole getragen, von der Polizei jedoch allen Einwänden zum Trotz als Zeichen einer Versammlung interpretiert wurden. Mehrere Polizisten umringten dabei betende Personen, redeten auf sie ein und drohten mit Platzverweisen.

Die Eskalationsstrategie der Polizei sorgte dafür, dass es auch andernorts zu unschönen Bildern kam. Sinn und Zweck der Einsätze war offenbar ausschließlich die Aufnahme von Personalien, egal aus welchen Gründen: An der Brienner Straße – weit weg vom Zentrum des Protestspaziergangs – kesselten mehrere Mannschaftswagen unvermittelt Passanten ein und hielten sie über eine Stunde im strömenden Regen fest. Unter offener Androhung von Gewalt über Lautsprecher wurden die Passanten aufgefordert, ihre Personalien anzugeben. Eine Prüfung, ob es sich überhaupt um Teilnehmer an den Spaziergängen handelte, fand nicht statt. Obwohl niemand Widerstand leistete, wurden mehrere Eingekesselte von Polizist:innen an den Armen gepackt. Nach Auskunft der beteiligten Polizisten habe man die Passanten aufgefordert, sich von einer unerlaubten Versammlung zu entfernen. Betroffene Passanten hingegen sagten einhellig, dass sie überfallartig nach Wegelagererart und ohne Warnung eingekesselt worden und danach aktiv am Verlassen der Örtlichkeit gehindert worden seien. Tatsächlich stürmten die Beamten der Einheit 2364 unter Einsatzleiter Hartwich in Kampfmontur auf Zivilisten los wie in einem Film über ein repressives Regime. Polizeibeamte sprachen von 30 – 50 Eingekesselten, nach Aussage Betroffener dürften es eher 15 – 20 gewesen sein, die einer fast doppelt so hohen Anzahl von Polizisten gegenüberstanden.

Übrigens: Der Kessel befand sind direkt vis-​à-​vis des Platzes der Opfer des Nationalsozialismus.

Der Abend des 29.12. stellt somit einen weiteren Tiefpunkt der Rechtsstaatlichkeit dar. Und wirft die Frage auf, wie künftig mit polizeilicher Willkür und Einschüchterung durch Uniformierte umgegangen werden soll.

Dieser Bericht wurde am 31. 12 nochmals aktualsiert.

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