Von Kiew nach Ottawa

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Allgemeine bewaffnete Konfrontation oder »bewaffnetes« Feilschen zwischen Riesen für eine »Heilige Allianz« zur Verteidigung der bürgerlichen Weltordnung?

Der weltweite Bogen des Klassenkriegs, den das Kapital gegen eine Menschheit entfesselt hat, die in jeder Hinsicht als Versuchskaninchen für seine Experimente sowohl im Bereich der »Gesundheit« als auch der rücksichtslosen sozialen Kontrolle behandelt wird, spannt sich eindeutig und in gefährlicher Weise. Wir stehen am Vorabend von sehr bedeutenden Ereignissen und traumatischen Brüchen, die durch das explosive Zusammentreffen staatlicher Interessen und kapitalistischer Machtblöcke mit den sozialen Kämpfen innerhalb eben dieser Staaten und Machtblöcke ausgelöst werden.

Einerseits positionieren die bürgerlichen Kanzleien in diesen Tagen und Stunden wachsender Spannungen ihre jeweiligen Diplomatien und Streitkräfte rund um die Kontaktlinie auf dem ukrainischen und den benachbarten Quadranten, wo die Auseinandersetzung zwischen dem Kräftefeld des atlantischen Blocks und dem des russischen Rivalen/​Partners (Partner in einer gemeinsamen Krippe, dem Netzwerk des Weltkapitalismus, dessen wesentliches Stacheldrahtgeflecht die russische Bourgeoisie ebenso wie die chinesische ist) kurz vor einem bewaffneten Zusammenstoß zu stehen scheint. Die Initiative für die diplomatischen, wirtschaftlichen und schließlich militärischen Provokationen liegt eindeutig in den Händen des atlantischen Lagers. Moskau setzt seine Streitkräfte ebenso sicher in einer defensiven Haltung ein. In der Sprache des bürgerlichen Rechts würden wir von »legitimer Verteidigung« nationaler Interessen des russischen Kapitalismus sprechen. Das berechtigt uns nicht, nach unserem Kriterium kommunistischer Revolutionäre, das russische bürgerliche Ungetüm (dessen Größe wir nicht mit dem westlichen imperialistischen Ungetüm gleichsetzen) mit einem Lamm oder einer Friedenstaube zu verwechseln. Die traditionelle Darstellung der Verhältnisse, die »kriegslüsterne« Mächte und »friedliebende« Staatsmächte trennt, gehört nicht zu unserer Tradition, sondern zu der der bürgerlichen Strömungen (und des klassischen Stalinismus in der Nachkriegsphase, nachdem er ein paar Jahre lang mit »friedliebenden« Mächten vom Kaliber eines … Hitler zu tun hatte. Natürlich immer »taktisch« und »zum Guten«, wie jeder gute »Lagerfuchs«, dem die gegerbte Haut des internationalen Proletariats egal ist, zu erklären weiß). Bürgerliche Strömungen, die sich von dem von Amerika dominierten atlantischen Block befreien wollen. Ein aggressiver atlantischer Block, ja, aber viel weniger kompakt als es den Anschein hat, und das wird sich mit den ersten Salven von Kalaschnikows zeigen, ohne die Artilleriesalven oder etwas noch Schwereres abzuwarten, wenn es zu einem bewaffneten Zusammenstoß kommen sollte.

Gleichzeitig werden fast alle westlichen Länder von sozialen Bewegungen erschüttert und durchquert, die versuchen, das bedrückende Mäntelchen zu zerreißen, das sich unter dem Deckmantel der Notwendigkeit des »Kampfes gegen die Pandemie« über die Gesellschaft gelegt hat. Die gewaltige Aktion der kanadischen Trucker hat eine Reihe von Explosionen sozialer Proteste in einer Kette ausgelöst. Wie wir vorausgesagt und gehofft haben, siehe das Kommuniqué der »Assemblea Militante« in Solidarität mit dem »kanadischen« Kampf.

Das Lügengebäude, das in den letzten zwei Jahren rund um das Management der Krankheit Covid-​19 aufgebaut wurde, läuft nun ernsthaft Gefahr, von einem unkontrollierten Erdrutsch mitgerissen zu werden, zusammen mit den mächtigen kriminellen Banden, die es aufgebaut haben, und der beispiellosen Gewalt, die darin verübt wurde und die diesen Verbrechern und ihren zahlreichen Komplizen und Kollaborateuren mit Zinsen vergolten wird, wenn die wachsenden Protestbewegungen auf den Straßen nicht rechtzeitig bekämpft werden, um ihnen einen Maulkorb zu verpassen oder sie mit einer festen und demokratischen Eisenfaust zu zerschlagen.

Der Bogen spannt sich, das Tempo der Ereignisse beschleunigt sich: Am Samstag, den 12. Februar, sah sich Macron gezwungen, gepanzerte Fahrzeuge in Paris einzusetzen, die jedoch nicht verhindern konnten, dass Demonstranten des »Freiheitskonvois« in den hochsensiblen Bereich der Champs Elysees eindrangen. Im holländischen Den Haag ging die berittene Polizei mit harter Hand gegen die Masse der »Bedauernswerten« (oder »Stinkenden«, wie einige unserer Cobas [Basisgewerkschaften] die »No-​Pass«- und »Free-Vax«-Demos nannten) vor. Am selben Tag marschierte ein nicht genehmigter Zug von mehreren Tausend Menschen durch das Stadtzentrum von Triest und setzte ein großes Zeichen für die Wiederbelebung des Kampfes im ganzen Versuchskaninchenland Italia – nach der vernichtenden Niederlage, die die Hafenarbeiter von Triest und die gesamte Bewegung um Durchgang IV des Hafens Ende Oktober erlitten hatten, der dann zum Symbol und Zentrum des Kampfes wurde.

Die Kriegswinde in Kiew und rund um den ukrainischen Quadranten wehen zur gleichen Zeit, in der in Ottawa und im kanadischen Quadranten militärische Räumungsaktionen in der Luft liegen, um den kanadischen Lastwagenfahrern und der Bevölkerung das Rückgrat zu brechen. Bevölkerung, die sich in einer für die Regierungen (nicht nur der kanadischen von Trudeau) unerträglichen Weise um ihren Kampf geschart hat. Das ist ein Kampf für die Befreiung von einer Unterdrückung, deren Opfer die gesamte Gesellschaft ist (nicht nur die des kanadischen »Tyrannen«, des vollkommen demokratischen, integrativen und progressiven Trudeau).

Frage: Ist die Ausbreitung von Protestbewegungen nur für einige Regierungen, nur für einige bürgerliche Machtzentren unerträglich, insbesondere für die »globalistisch-​progressiven« mit Bidens USA im Mittelpunkt? Oder handelt es sich um eine gefährliche Ausbreitung, ein Funkenschlagen um die Fässer mit explosivem Staub eines unermesslichen sozialen Leidens einer ungeheuren Masse von Männern und Frauen, gefährlich auch für die rivalisierenden Machtzentren der »globalistischen« Zentren?

Das zweite, unserer Meinung nach. Der unkontrollierte Einsturz dieser Burg unter dem Druck der Massen und der Demonstrationen würde eine Gefahr für die gesamte bürgerliche Weltordnung darstellen, zu deren höchsten und verantwortungsvollen Hütern auch der »angegriffene« Putin (und der »angegriffene« Xi Jinping) gehören.

Der bürgerliche Putin (wie auch der bürgerliche Xi) ist fest entschlossen, die Einflusssphäre seines eigenen nationalen Kapitalismus zu verteidigen (und notfalls zum Gegenangriff überzugehen – wie im Fall der beispielhaften bewaffneten »Projektion« in Syrien – was wir auch genießen können, da wir in der Tat die Schläge genossen haben, die russische Initiativen der imperialistisch-​demokratischen Bestie zugefügt haben), aber gleichzeitig zählt an der Spitze der Weltbourgeoisie, die Klassenverbundenheit und die tiefe Klassenintelligenz der Verantwortlichen auf der höchsten Ebene der bürgerlichen Ordnung. Sie ist in der Lage, viel besser als wir armen revolutionären Teufel, die potenziell tödliche Gefahr eines Revolutionsprozesses zu erahnen, der selbst in den undenkbarsten Formen und von den undenkbarsten Subjekten wie den LKW-​Fahrern, aber vor allem die Millionen und Abermillionen von Männern und Frauen, die in den letzten Jahren Opfer einer (nach westlichen Maßstäben) beispiellosen Gewalt geworden sind und deren angestaute Wut durch die Aktion der Lkw-​Fahrer in Gang gesetzt wird.

Das Gesamtbild des Klassenkampfes liegt vor den Augen und der Klassenintelligenz der bürgerlichen Führung, die nicht aufhört zu verhandeln und zu diskutieren, selbst wenn diese echten Hyänen und vermeintlichen »Lämmer« aufeinander schießen. Wir werden nicht das klassische Beispiel der rivalisierenden französisch-​preußischen Mächte anführen, die sich bewaffnet und im Krieg gegeneinander befanden, sich aber gegen die Kommune vereinigten. Wir werden dies nicht tun, um zu vermeiden, dass der klassische Idiot sich und uns spöttisch fragt: »Und wo wären die Kommunarden heute?«. Er ist nicht in der Lage zu sehen, was die bürgerliche Intelligenz hinter und jenseits des Scheins und der Momentaufnahme erschnüffeln und sehen kann. So kann er zum Beispiel nicht einmal den gegenwärtigen Alptraum und das Grauen erkennen, in das wir hineingeraten sind, und das noch dazu mit Zustimmung der Bevölkerung: Apartheid? Von welcher Apartheid sprechen Sie, wird er antworten. Amen, dabei wollen wir es belassen …

Wie dem auch sei:

Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass die Schrecken eines neuen Krieges zu den »normalen« Schrecken des gegenwärtigen kapitalistischen Friedens hinzukommen. Darauf müssen wir reagieren, indem wir die Straßen mobilisieren, in Verbindung mit der großen sozialen Protestbewegung auf internationaler Ebene, die durch die energische Aktion der kanadischen LKW-​Fahrer neuen Schwung und neue Energie erhalten hat und die unter keinen Umständen aufhören darf, bis sie ihre Ziele erreicht hat, zu denen auch der Kampf gegen das System des nationalen Militarismus und der Atlantischen Allianz gehört. Beginnend mit dem Kampf für die Schließung der NATO-Stützpunkte.

Die Regierung darf nicht in Ruhe gelassen werden, um Krieg zu führen!

Sollte der bewaffnete Konflikt auf jeden Fall aufflammen, stehen wir für die Niederlage des imperialistisch-​demokratischen Lagers und lehnen jede Form der Anpassung an den bürgerlichen Staatsapparat ab. Wir sind dafür, dass sich das militärische Manöver des westlichen demokratischen Imperialismus als Glücksspiel erweist und zum Bumerang wird. Und dass der imperialistische Krieg in erster Linie im amerikanischen Lager zum Bürgerkrieg wird.

Unser Beitrag und unsere Perspektive besteht darin, dass aus den gegenwärtigen Schrecken des kapitalistischen Friedens und des kapitalistischen Krieges die aggressive Aktion der proletarischen und sich heftig proletarisierenden Massen für den Sturz aller gegenwärtigen Regierungen, für die Errichtung der universellen Kommune hervorgehen muss. Für das Gemeinwesen, das heißt, endlich für eine echte menschliche Gemeinschaft.

14 Februar 2022, NUCLEO COMUNISTA INTERNAZIONALISTA

http://​www​.nucleocom​.org/

Bild: Sowjetisches Mosaik mit der Darstellung einer Frau mit einem Buch. Nordostseite des Hauses Nr. 6 in der Levandowska-​Straße in Kiew

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