PapyRossa publiziert drei lesenswerte Bücher zur Planwirtschaft

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Im Kölner PapyRossa Verlag erschienen dieses Jahr bereits zwei Bücher zur Planwirtschaft. Gar drei, wenn man die dritte Auflage von Cockshotts und Cottrells Alternativen aus dem Rechner: Für sozialistische Planung und direkte Demokratie dazuzählen will. Letzteres Werk, erstmals erschienen 1993 unter dem Titel Towards a New Socialism bei Spokesman Books in Nottingham, ist vor allem für Helmut Dunkhase maßgeblich, der es auch ins Deutsche übertragen hat.

In seinem Playdoyer für Planwirtschaft: Vom Umgang mit Widersprüchen in DDR, Sowjetunion und Volksrepublik China plädiert Dunkhase dann auch weitgehend für eine Planwirtschaft wie sie von den beiden Schotten Cockshott und Cottrell ausgearbeitet wurde. Deren Buch besteht erstens aus einer Analyse des Scheiterns der ersten sozialistischen Staaten; zweitens dem Nachweis, dass nur die Marxsche Arbeitswerttheorie als Grundlage einer nach Arbeitszeitmaß strukturierten Planwirtschaft fungieren kann; sowie drittens einer Theorie der direkten Demokratie im Gefüge der anvisierten Planwirtschaft. Der Hauptaspekt liegt dabei auf den Möglichkeiten moderner Rechen- und Kommunikationstechnik hinsichtlich der Durchführung komplexer Rechenaufgaben und der Integration großer Datenmengen mit Feedbackfunktionen als Problemen, denen sich jede Planwirtschaft stellen muss, aber auch auf dem Potential der IT-​Technologie für eine direkte Demokratie. Die Autoren schlussfolgern, dass die moderne Rechentechnik in der Lage sei im Nu komplexeste Gleichungen zu bewältigen, die von damaligen Computersystemen oder gar manuellen Berechnungen nicht zu bewältigen waren. Damit seien die gravierendsten technisch-​organisatorischen Schwiergkeiten bisheriger Planwirtschaften passé, die Planwirtschaft in einer dem Kapitalismus deutlich überlegenen Weise problemlos umsetzbar.

Dunkhase fasst das Buch der Schotten übrigens auf den letzten gut 20 Seiten seines knapp 100 Seiten kurzen Büchleins zusammen. Ergänzt wird es, neben einem bei Sandleben fehlendem Personen- und Sachregister, durch fünf Anhängen mit Exzerpten zur behandelten Fachdebatte, zum Feldman-​Modell, der linearen Optimierung, der Metrik des Warenraums sowie durch ein Beispiel für Input-​Output-​Rechnung. Davor geht es ihm vor allem um eine Ursachenanalyse des Scheiterns bisheriger planbasierter Wirtschaften, insbesondere dem NÖS (Neues Ökonomisches Systems) in der DDR. China werden nur fünf Seiten gewidmet, der Sowjetunion etwas mehr als doppelt so viel.

Anlass für sein Plädoyer sei neben der offenkundigen Notwendigkeit einer rationalen und nicht ausbeuterischen Wirtschaftsordnung, wie er in einem Gespräch bei 99 zu Eins erwähnt, auch diejenige, mit der Vorstellung ein für alle mal zu brechen, dass man beim nächsten sozialistischen Anlauf einfach auf das NÖS würde zurückgreifen können.

Dazu rekonstruiert er die theoretische, dem NÖS vorlaufende und es begleitende Debatte aus Standardwerken zur Planwirtschaft wie der Zeitschrift Wirtschaftswissenschaft. Er konstatiert, dass die Grundlegung der Planwirtschaft nach Maßgabe der Arbeitszeitrechnung zwar anfangs durchaus diskutiert, dann aber recht rasch an den Rand gedrängt wurde. Nämlich von der Auffassung, wonach das Wertgesetz im Aufbau des Sozialismus noch eine Rolle spiele, weswegen die Planwirtschaft mit Marktelementen kombiniert werden müsse, zumal ja die Arbeitszeitrechnung als Theorie zur Messung des Werts verworfen wurde, womit nur der Markt als Instrument der Preisbestimmung übrig bliebe. Auf das Nebeneinander von Markt und Plan richtet Dunkhase seinen Hauptfokus. Überzeugend weist er, wie alle hier angesprochenen Autoren, nach, dass solch eine Kombination aufgrund der sich gegenseitig ausschließenden Prinzipien von Plan und Markt nicht möglich ist. Wobei er deutlich macht, dass von einem Markt in der DDR nicht die Rede sein konnte, da schlichtweg die wesentlichen Elemente einer Marktwirtschaft nicht in Kraft waren, was die Idee der Wertbestimmung über einen Marktpreis regelrecht absurd mache. Im Lavieren dieser theoretischen, die Praxis problematisch machenden, Zweideutigkeit, also dem Tür- und Tor-​Öffnen marktwirtschaftlicher Gedanken im Rahmen sozialistischer Wirtschaftsführung, meint Dunkhase Anzeichen einer »sozialdemokratische Degeneration« festzustellen. Weswegen die weitgehend kampflose Niederlage gegen die Konterrevolution 1989 nicht allzu überraschend sein konnte.

Ähnliches gelte für die Sowjetunion nach Stalin, die durch verheerende theoretische und vor allem praktische Weichenstellungen den grundsätzlichen Widerspruch von Markt und Plan zunehmend verkannte und so den Weg ins Verderben antrat. Sehr interessant sind kurze Skizzen zu den nichtverfolgten Wegen: ob Kybernetik, Internet, Arbeitswertmodelle oder alternative Bilanzierungs- und Rechenarten. Insgesamt findet der Rezensent, alles andere als ein Fachmann auf dem Gebiet, die Argumentation Dunkhases nachvollziehbar und überzeugend, allerdings war er schon vor der Lektüre ein Verfechter der Planwirtschaft.

Wie Cockshott/​Cottrell und Dunkhase ist auch Sandleben ein Verteidiger der Arbeitswertlehre und Verfechter einer auf Arbeitszeit basierenden Planwirtschaft. Deshalb sind in Kernfragen zwischen besprochenen Werken keine konträren oder gar kontradiktorischen Kontroversen auszumachen. Lediglich in Nebenfragen, dem thematischen Fokus und dem Nichtbeihandelten gibt es Unterschiede beziehungsweise entstehen unterschiedliche Eindrücke. Während die beiden Schotten zur Zeit des endgültigen Verfalls der Sowjetunion und damit komplett gegen den Zeitgeist schrieben, haben Dunkhase und Sandleben ein leichtes Spiel, den Kapitalismus als unbedingt ersetzbar durch eine rationalere und humanere Wirtschaftsform darzustellen. Sicherlich entspricht die Planwirtschaft noch nicht dem Zeitgeist, aber bei den fortschrittlichsten Kräften der Gesellschaft kann nur ein ansteigendes Interesse konstatiert werden.

Zwar hat vor allem die Sowjetunion zur Stalinzeit gezeigt, dass Planwirtschaft im Großen und Ganzen funktionieren kann. Neben den tendenziell kapitalistischen Reformen ab den 1960ern waren es, so Dunkhase, eben vor allem theoretische Defizite, wie die nicht konsequente Berücksichtigung der Arbeitszeitrechnung, die in der Architektur des Plansystems strukturelle Defizite einbauten, die das Gebäude nur in Schieflage haben bringen können. Damit plädiert Dunkhase nicht nur für den selbstverständlichen Bruch mit dem Kapitalismus, sondern auch mit dem weniger selbstverständlichen mit bisherigen Plankonzeptionen wie vor allem dem Neuen Ökonomischen Systems (NÖS). Beim Leser bleibt der Eindruck eines tiefen Grabens zwischen Dunkhases Vision der postrevolutionären Wirklichkeit und der kapitalistischen Gegenwart wie sozialistischen Vergangenheit prägnant.

Anders bei Guenther Sandleben. Im Wesentlichen hat er wie gesagt ganz ähnliche Vorstellungen wie Dunkhase und Cockshott/​Cottrell, außer bei der Simulation von Marktmechanismen zu Planungszwecken, die er zurecht als vollkommen überflüssig ablehnt. Dadurch aber, dass er vor allem die Arbeitszeitrechnung auf Grundlage bereits heute praktizierter Methoden und Möglichkeiten der Kostenrechnung behandelt, sieht er bereits im Heute die Keimzellen des Neuen ausgeprägt und vorhanden, wenngleich durch die Verhältnisse gehemmt, weshalb das kapitalistische Heute und das sozialistische Morgen nicht so abrupt und unvermittelt einander gegenüber stehen wie bei Dunkhase.

Sandlebens Vorstellungen sind eigenständiger als die stark an Cockshott und Cottrell angelehnten Dunkhases. Nach einer kurzen historischen und theoretischen Einführung und einem kritischen Abriss der Literatur zur Arbeitswerttheorie und Wertgesetz nimmt Sandleben die Arbeitszeitrechnung in den Fokus. Er zeigt nicht nur deren theoretische Notwendigkeit für eine Planwirtschaft auf, sondern scheut keine Mühe bei der klaren Darstellung, wie die heutige Kostenrechnung auf die Arbeitszeitrechnung umgestellt werden kann. Die Krux dabei ist natürlich, dass bei Geltung der Arbeitswerttheorie die Kostenrechnung sowieso nur eine verkappte und verzerrte Arbeitszeitrechnung sei. Erstere müsse man im Grunde nur entschlacken und umstellen. Nebenbei zeigt Sandleben auf, dass die Arbeitszeitrechnung für Rentiers, Kapitalisten und Manager den sehr ungünstigen Effekt hat, dass sie sehr schön aufzeigt, wer auf wessen Kosten lebt. Zudem zeigt Sandleben Vorteile der Arbeitszeitrechnung in Bezug auf betriebswirtschaftliche Effizienz auf – betonend, dass eine sozialistische Wirtschaft hinsichtlich Produktivität und Effizienz der kapitalistischen überlegen sein müsse.

Das Thema Arbeitszeitrechnung mag dröge erscheinen, ist es auch, aber wer sich eine »Gesellschaft nach dem Geld« nicht nur wünscht, der sollte das Rüstzeug erwerben, diese auch auf solide Weise in der Wirklichkeit realisieren zu können. In dieser Hinsicht scheint mir, wer die Wahl zwischen Sandleben und Dunkhase hat, der pragmatisch in Zukunft blickende mit Sandleben besser aufgehoben. Derjenige mit historischem Interesse mag bei Dunkhase einen spannenderen Einstieg ins Thema finden. Insgesamt machen sich beide Bücher durchaus auch in Kombination.

Als Vertiefung und Ergänzung zu Dunkhase ist das Buch von Cockshott/​Cottrell freilich unverzichtbar. Allen Autoren, auch den hier nicht besprochenen, und nicht zuletzt dem PapyRossa Verlag ist anzurechnen, dass sie das Thema Planwirtschaft in schweren Zeiten am Leben hielten und die Debatte voranbringen. Man kann sich nur wünschen, dass dies erst der gelungene Auftakt zu einer hochnotwendigen Renaissance des Themas Planwirtschaft wird und keine Zufallserscheinung bleibt, zumal die besprochenen Arbeiten selbstredend bei weitem nicht das weitläufige Thema oder auch nur bestimmte Detailfragen in Gänze in historischer und theoretischer Hinsicht abschließend behandeln und diesen Anspruch auch nie erhoben haben. Sie werfen schlaglichtartig unter ganz gezielten Schwerpunkten einen Blick in die reiche, komplexe und schwere Debatte, die auch für Laien gewinnbringend und augenöffnend lesbar ist und beleben damit eine zukunftsträchtige Diskussion, in der zwar noch keine Forschungsgelder zu holen sind, die aber dringend notwendig ist, um die Menschheit aus dem wirtschaftlichen und sozialen Elend zu befreien.

Paul Cockshott /​Allin Cottrell: Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie, übers. u. hrsg. von Helmut Dunkhase, 3. Auflage. PapyRossa, Köln 2022.

Helmut Dunkhase: Playdoyer für Planwirtschaft. Vom Umgang mit Widersprüchen in DDR, Sowjetunion und Volksrepublik China. PapyRossa, Köln 2022.

Guenther Sandleben: Gesellschaft nach dem Geld. Arbeitszeitrechnung als Alternative. PapyRossa, Köln 2022.

Bild: Schema der Planungsorgane der UdSSR – Gnosandes (CC BY-​SA 4.0)

2 thoughts on “PapyRossa publiziert drei lesenswerte Bücher zur Planwirtschaft

  1. »Wobei er deutlich macht, dass von einem Markt in der DDR nicht die Rede sein konnte«.

    Daraus spricht eine deutliche Verkennung der Realität. Die Beziehungen zwischen den Betrieben – das Gros aller wirtschaftlichen Beziehungen – beruhten nicht (direkt) auf Planvorgaben, sondern auf dem technischen Bedarf und den tradierten Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Betrieben. Der Plan bestimmte v.a. Großinvestitionen und die Verteilung zentraler Ressourcen (Staatsplanpositionen). Es wurde nicht jeder Hosenknopf geplant. Die Planwirtschaften in den RGW-​Ländern waren somit niemals reine Planwirtschaften.

    »Zwar hat vor allem die Sowjetunion zur Stalinzeit gezeigt, dass Planwirtschaft im Großen und Ganzen funktionieren kann.«

    Ein Buch, in dem solcher Unsinn steht, kann nichts wert sein. Die Wirtschaft unter Stalin wies erhebliche Schwächen auf: sehr hohe Ausschussquote, mangelhafte Qualität der Produkte (was unnötige Neuproduktion und Reparaturen erforderte), Überausbeutung und Entrechtung der Arbeiterschaft, ausufernde Bürokratie, enorme Fehlinvestitionen durch voluntaristische Planung, Tonnenideologie, Überbetonung der Schwerindustrie zuungunsten anderer Bereiche usw. usw. Die relativ gesunde udn harmonische Wirtschaftsentwicklung bis 1927/​28 wurde durch Stalins voluntaristischen Gigantismus zerstört.

    Wenn man dazu noch bedenkt, dass durch die Zwangskollektivierung Millionen Arbeitskräfte umkamen und riesige Produktivpotentiale zerstört wurden, dann wird einem klar, dass die stalinsche Industrialisierung keineswegs nur ein Erfolgsmodell war. Im Gegenteil: alle grundlegenden Fehler der stalinistischen Wirtschaften waren hier schon angelegt.

    Das Hauptproblem dieser Ökonomie war die Entmachtung und Enteignung der Produzenten und Konsumenten durch eine Staats- und Parteibürokratie. Das Wesentliche einer sog. Planwirtschaft ist keineswegs irgendeine Form von Planung oder Steuerung, sondern der direkte (!) Zugriff der Klasse auf die Produktionsmittel. Das bedeutet, selbstverwaltete Betriebe mit Rätedemokratie und gesellschaftlich, nicht bürokratisch bestimmter Gesamtplanung zu verbinden. Die RGW-​Wirtschaften krankten nicht v.a. an fehlerhafter Steuerung, sondern an zu niedriger Arbeitsproduktivität pro Beschäftigten und zu wenig Innovation. Hier wurde der Rückstand zum Westen immer größer.

    Ich empfehle zum Lesen: »Die proletarische Wirtschaft«, bestellbar unter http://​www​.aufruhrgebiet​.de

    1. Autor sagt natürlich nicht, dass es keine Warenbeziehung gab usw., sondern, dass kein Markt bestand, der über freie Preisbildung zur Herausbildung eines Marktpreises führen konnte, der Hintergrund ist die Debatte um Arbeitswertheorie usw. Kostpreise usw. bei Dunkhase.

      Keiner der Autoren negiert die Probleme der Planwirtschaft in der SU (sie sind nicht Hauptthema), aber im Großen und Ganzen funktionierte sie trotz aller Widrigkeiten und Probleme. Offensichtlich gab es Problem, wo gibts die nicht.

      Naja, wo diese Millionen Arbeitskräfte umkamen, scheint weder dem Autor noch dem Rez. bekannt zu sein, hat auch nix mir dem Thema zu tun.

      Cockshott/​Cotrell/​Dunkhase haben einen starken Fokus auf Demokratisierung des Plans, wird doch auch erwähnt. Es ist eine Rezension über die Bücher, nicht über angebliche »Verbrechen des Stalinismus«.

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