Einige Anmerkungen für halbschwurbelnde Linke, die künftige Gesellschaftskritik betreffend

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Aus Anlass eines Texts von Anselm Jappe

Erfreulicherweise fängt die radikale Linke an, sich ein wenig zu streiten. Exemplarisch sei hier auf einen Anfang Januar 2022 geschriebenen Text »Haben Sie ›Gesundheitsdiktatur‹ gesagt?« von Anselm Jappe aus dem Milieu der sogenannten Wertkritik verwiesen, der sich insbesondere deutlich gegen die Impfpflicht und Gesundheitsdiktatur richtet. Die Wertkritik als verdinglichter Terminus einer Subsekte der deutschen Linken geht auf den ehrenwerten und leider zu früh aus dieser Welt geschiedenen Robert Kurz zurück, der sich Anfang der 1990er im Rahmen der Zeitschrift Krisis zusammen mit einigen Verbündeten wie Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Claus Peter Ortlieb oder Roswitha Scholz einer grundsätzlichen Kritik aller Momente moderner kapitalistischer Herrschaft widmete. Es wurde eine kleine Schule daraus, mit den üblichen Schulspaltungen. Die Hauptlinie vererbte sich in die Zeitschrift Exit. In dieser sollte der Artikel von Anselm Jappe erscheinen, nur dass die Redaktion das ablehnte, was zu einer weiteren Spaltung führte. In der Begründung der Exit-Redaktion heißt es, dieser Text hätte »eine offene Flanke zu Coronaleugnern und Verschwörungsfantasien«. Dass der Autor offenbar weder Corona leugnen möchte noch zu Phantasien über Verschwörungen neigt, hilft ihm nichts, denn – so das Verdikt der Redaktion: »Die offene Flanke soll lediglich mit der Beteuerung abgesichert werden, man habe damit nichts zu tun.« Während die einen Corona selbst leugnen, bietet und leugnet Anselm Jappe immerhin eine offene Flanke, was – die Wertkritik entsprang ursprünglich einer deutschen K‑Gruppe – natürlich am kleinbürgerlichen Denken des Autors liege: »In der offenen und zugleich geleugneten Flanke gegenüber Verschwörungsfantasien dürfte sich das Bedürfnis Ausdruck verschaffen, den eigenen kleinbürgerlichen Sehnsüchten nach Überschau- und Handhabbarkeit der sich chaotisierenden Krisenverhältnisse Raum zu geben.« Die Reihen fest geschlossen, dem Feind nur keine Flanke bieten. Exit im Krieg. Aber natürlich stets unglaublich unüberschaubar und wenig handhabbar, gar komplex.

So weit, so gewöhnlich. Aber die Exit-Redaktion bringt hier noch einmal kompakt den seit nun über zwei Jahren recht erfolgreichen allgemeinen Wirkmechanismus der als Gatekeeper der Ordnung fungierenden Linken auf den Punkt. Er besteht aus drei Grunddogmen, die helfen, jede ernste innere Kritik im Keim zu ersticken; schon die gedankliche Kritik, aber dann auch die praktische Kritik. Weniger, weil das Folgende besonders neu wäre, sondern eher, weil die Fassade der verschlafenen und geschlossen die Staatsaktion tragenden Linken erst jetzt langsam Risse bekommt, hier noch einmal die Zurückweisung dieser drei Dogmen. Das scheint nützlich, da bekanntermaßen die Linken untereinander einen relativ strengen Moralkodex pflegen und zögerliche Kritik an der Staatsaktion aus den eigenen Reihen fast immer dazu tendiert, sich auf die eine oder andere Weise ängstlich und in vorauseilendem Gehorsam gegen die Übertretung dieser drei Gebote zu verwahren, um mit der Linken, mit der sie gleichzeitig in Widerspruch gerät, doch noch einen gemeinsamen Boden zu behaupten.

1a) Du sollst Corona nicht leugnen

Die Leugnung eines, wenn nicht aller Viren erscheint dem modernen Ungebildeten verwegen. Aber warum eigentlich nicht? Descartes hat bekanntlich Gott geleugnet und wenn er auch am Ende Gott gründlicher bewiesen hat als so mancher Scholastiker, so war die ursprüngliche Leugnung gerade hierfür notwendig. Das von Louis Pasteur und Robert Koch in die Welt gesetzte und durchgesetzte Konzept eines Virus, oder vager einer Mikrobe, war damals nicht unumstritten. Der bekannte Satz von Claude Bernard: »Die Mikrobe ist nichts, das Terrain ist alles«, legt davon Zeugnis ab. Das Terrain ist unser Leib. Eine Grippemikrobe kann ihm wenig anhaben, wenn er nicht anderweitig geschwächt ist. Ist er allerdings geschwächt, kann die parasitäre Vermehrung etwa der Grippemikroben im Leib dazu führen, dass der Organismus insgesamt aufhört. Im Grunde stirbt der Kranke – um die moderne Mode als Beispiel zu wählen – weder mit noch an Corona. Es ist ein durchaus komplexer Prozess zahlloser Momente, da nicht nur Leib und Mikroben interagieren, sondern auch der vielleicht durch grundsätzliche Erkrankung oder schlicht das Alter geschwächte Leib andererseits etwa durch akute Angst, permanenten Stress, chronisch schlechte Ernährung, grundsätzlichen Bewegungsmangel und überhaupt aus Mangel an Freude, Liebe und Lebenslust empfänglicher für sogenannte Viren sein kann und nicht einfach eine ungesellschaftliche Entität darstellt. All jene, die ständig ihre Opponenten der Leugnung und Unterkomplexität beschuldigen, leugnen eben diesen diffizilen, im Konkreten oft sehr individuellen, im Ganzen aber höchst gesellschaftlichen Zusammenhang und geben dann alle Schuld einem ominösen Virus, der wiederum – typisch positivistisch – in den Rang einer einfachen Wirklichkeit erhoben wird. Dabei offenbart schon ein oberflächliches Studium der Mikrobiologie, dass Virus nur ein Name für etwas ist, das man nur schwer definieren oder sogar dingfest machen kann. Der berechtigte Zweifel, ob zum Beispiel dieses Königsvirus überhaupt je vollständig isoliert wurde – die Voraussetzung für den legendären Drostentest – geht auf solche Fragen. Und selbst wenn er doch irgendwie sequenziert wurde, was folgt schon aus der Kenntnis der genauen Molekülzusammensetzung? Man kann diese dann natürlich Sars-​Cov2 nennen, aber in dieser statischen Isolation ist damit wenig gesagt. Natürlich soll man Begriffe benutzen und Begriffe verweisen immer auf etwas Existierendes. Die famose Einheit von Begriff und Sache. Aber dann deckt sich unser Begriff nicht mit der Sache. Gerade der moderne Begriff der Naturwissenschaft ist sogar sehr ungenau, da sie die Ergebnisse ihrer Abstraktion und Analyse am Ende als Wesen unterschiebt und sie kaum zur Synthese der zu Dingen geronnenen Abstraktionen fähig ist. »Wissenschaft, hüte dich vor dem Denken«, sagte schon Hegel über Newton, der ein »vollkommener Barbar an Begriffen« sei, nicht wußte, »dass er Begriffe hatte und mit Begriffen zu tun hatte, während er mit physischen Dingen zu tun zu haben meinte« und der die »Begriffe wie sinnliche Dinge handhabte und sie nahm, wie man Stein und Holz zu fassen pflegt«. Und doch hat Newton etwas über die Physik gesagt und möglicherweise sogar Robert Koch oder Louis Pasteur über die Biologie. Aber diese ganzen unwissenschaftlichen Apologeten des Königsvirus, die vor der Virusleugnung warnen, tragen zu letzterem nichts bei und indem sie die Viren einfach als Faktum und Fatum setzen, helfen sie der völlig einseitigen, falschen und manischen Fixierung auf die Mikroben, indem sie deren notwendigen Stoffwechsel mit unserem Leib völlig ausblenden, ohne den diese für sich genommen leblosen Mikroben buchstäblich nichts sind.

Insbesondere wirkt in unserem lebendigen Leib das sogenannte Immunsystem, ein anderes gerne im Munde geführtes Konzept aus der Zeit Louis Pasteurs oder – wie die Deutschen sagen – aus der Zeit Robert Kochs. Und wenn auch dieser sehr fragwürdige Begriff aus dem deutsch-​französischen Krieg stammt, den Louis Pasteur und Robert Koch ideologisch in ihrem Fachgebiet reproduzierten – das Immunsystem sei eine Art Gefechtsstand des Körpers, der sich äußeren Eindringlingen widersetze –, sind doch die Querdenker völlig im Recht, wenn sie immer wieder betonen, dass ein gutes Immunsystem ganz gut mit Grippeviren aller Art umgehen kann, während die Covidianer sofort zu Immunsystemleugnern wurden: Das Virus sei so neu, dass unsere Abwehr dagegen nichts ausrichten könne. Anstatt die Erkrankten in irgendeiner Weise zu unterstützen, ließ man sie oftmals einfach verrecken. Es helfe ja nichts außer Isolation und wer krank wurde, dem mochte Gott helfen. Aber auch, wer gar nicht krank war, konnte nun, wenn er der Pflege bedürftig war, zum Beispiel dehydrieren, weil die Pfleger entweder panisch wegliefen oder – man überlässt die Pflege der Alten bekanntlich meist Migranten – in ihre Heimatländer zurückfahren mussten.

Wenn also nichts gegen eine ergebnisoffene und hier nur angedeutete Dekonstruktion und Diskussion zentraler Begriffe der Biologie wie Virus und Immunsystem oder, allgemeiner formuliert, Mikrobe und Terrain spricht, sondern durchaus einmal gründlich darüber nachgedacht werden könnte, so geht der beliebte Vorwurf der Coronaleugnung an der Sache vorbei, da eine wirkliche Leugnung – Anzweiflung wäre das weniger denunziatorische Wort – der Viren im Allgemeinen oder dieses speziellen Coronavirus im Besonderen nur bei wenigen innerhalb der Opposition zu finden ist. Das erste Dogma der Gatekeeper lautet daher in Wirklichkeit:

1b) Du sollst die Pandemie nicht leugnen

Die Pandemie sei so offensichtlich, dass man schon irre sein müsse, um sie zu leugnen. Nun kann jeder natürlich private Geschichten erzählen und meine lautet klipp und klar: In meinem Umfeld ist die Todesseuche ausgefallen. Aber solche Privatevidenz ist natürlich anrüchig und auch tatsächlich wenig aussagekräftig. Werfen wir also einen Blick auf die trübe Statistik aller Toten der Vereinigten Staaten von Amerika, irgendwie altersbereinigt:

Man sieht hier den erschreckenden Umstand, dass 2020 prozentual so viele Menschen gestorben sind wie – Tusch – seit dem Jahr 2003 nicht mehr. In den Jahrzehnten davor waren es allerdings immer mehr Todesfälle pro Hundert als im Jahr 2020. Die 70er und 80er und 90er müssen also ein wahres, gar pandemisches Massensterben der alten und verwundbaren Menschen gewesen sein, denn – von Unfällen und Ausnahmen abgesehen – sind es immer diese, die sterben, woran oder unter welchen Umständen auch immer. Man kann und soll natürlich einen Bypass legen, wenn möglich, und meinetwegen kann man auch Herzklappen austauschen, aber der Mensch ist dann doch sterblich und so war damals niemand grundsätzlich irritiert davon, dass (alte) Menschen gestorben sind und man hat sie hoffentlich individuell betrauert – anders als in den letzten zwei Jahren, da man sie teilweise nicht einmal beerdigen durfte und man die Alten oft alleine und von den Liebsten isoliert sterben ließ. Allerdings hat die prozentuale Sterblichkeit im Jahr 2020 tatsächlich einen kleinen Sprung gemacht. Das mag an einer besonders schweren Grippewelle gelegen haben, man soll da leidenschaftslos sein und die Natur hat ihre Mucken, aber andererseits gehen eben die konkreten Todesumstände in solchen Statistiken verloren, so dass man sich da auch nicht zu sicher sein sollte. Ich erinnere mich noch an Zeitungsartikel, nach denen man Demente zuhauf sterben ließ, ganz ohne Corona, einfach »due to disruption to care and restrictions on visitors causing loneliness« wie es hinterher lakonisch auf der Webseite des World Economic Forum heißt. Oder an die anfangs umgesetzte Empfehlung der WHO, keine konventionelle Beatmung zu benutzen, sondern die Leute lieber vorschnell und zu oft zu intubieren, was wiederum zu vielen Todesfällen führte. Aber lassen wir all diese meist schamhaft verschwiegenen Grausamkeiten einer von der Königsgrippe berauschten Gesellschaft beiseite und gucken nur auf die das nackte Leben abbildenden Zahlenkolonnen: Es gab keine Erhöhung der Sterblichkeit im Jahr 2020, die für sich genommen den gesamten Planeten im Bann hätte halten dürfen. Oder auch: Es gab keine Pandemie.

Bei der dogmatischen Pandemiebehauptung handelt es sich im Grunde um eine Anwendung von Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie: Wenn man es nur oft genug und am besten mit der Autorität irgendeines Kittels behauptet, dann übernehmen alle diese Tatsachenbehauptung, unabhängig davon, ob sie sich mit der eigenen, auch kollektiven Sinneswahrnehmung deckt. Wir haben also Pandemie und von der werden auch ehrliche Kritiker angesteckt: Auch Anselm Jappe spricht wie selbstverständlich von einer Pandemie. Immerhin verstellt ihm das nicht vollständig den Blick auf den Rest, aber im Allgemeinen schwächt dieser Pandemiepositivismus die Position von Kritikern des Ausnahmezustands stark ab und trübt vor allem deren Blick auf die Konsequenzen. Es wird so suggeriert, es ginge bei all den Maßnahmen – bei allen gegebenenfalls konstatierten Widersprüchen und Absurditäten – tatsächlich um die Bekämpfung einer Pandemie. Um Gesundheitspolitik im Sinne der Gesundheit. Sie verdrehen damit das Verhältnis und verstellen sich eben den Blick auf das wirkliche Geschehen. Damit sind wir beim zweiten Punkt: Denn mit dem rituellen Vorwurf der Pandemieleugnung geht immer die Verdammung der sogenannten Verschwörungsfantasien Hand in Hand.

2) Du sollst kein Verschwörungstheoretiker sein

Hier haben die Gatekeeper der Ordnung eigenwillig recht: Hat man einmal erkannt, dass es eben keine Pandemie ist, die uns drückt, fragt sich doch, warum dann seit über zwei Jahren dieser Zirkus? Man kann natürlich gesellschaftliche Mechanismen finden, die ohne eine eigentliche Verschwörung auskommen: die um sich greifende Sensationslust der Medien, die nach Einschaltquoten gieren, der Konformismus der Politiker, die von einer verängstigten Gesellschaft gewählt werden wollen, die Profitsucht einzelner Akteure und Kapitalien, etwa der Pharmaindustrie oder dieser Digitalwirtschaft. All das hätte sich ohne größeren Plan verselbstständigt und in einer Art positiven Feedbackschleife zum Exzess gesteigert. Aber solche Phänomene repräsentieren bei der Tiefe und Dauer des Ausnahmezustands nicht dessen Wesen, wenn sie auch sicherlich für das Geschehen notwendige Momente sind. Dann kann man die Ansicht finden, der Kapitalismus sei in einer grundsätzlichen Krise und brauche eine Ausrede für seine Restrukturierung, oder der Dollar müsse endlich als Weltzahlungsmittel abgelöst werden und die damit einhergehenden Verwerfungen gerade in der westlichen Welt sollten auf eine Grippe abgeschoben werden. Irgendwas davon. Oder alles zugleich. Man soll darüber durchaus theoretisieren oder auch phantasieren, da niemand sehr klar in solchen Sachen sieht. Aber ohne Verschwörung im weiteren Sinne kommen gerade die letztgenannten strukturell bedingten Umbrüche nicht aus. Jappe thematisiert die Abwehr jeglicher Verschwörungstheorie dann auch und widerspricht ihr, aber nur – nicht, dass man ihn tatsächlich noch für einen Verschwörungstheoretiker hielte – mit einer pflichtschuldigen Distanzierung: »Natürlich gibt es keine geheimen Treffen der Supermächtigen, die in aller Freiheit die Drähte ziehen.« Ein biegsamer Satz. Gibt es überhaupt keine Treffen der Supermächtigen? Oder gibt es nur keine geheimen Treffen der Supermächtigen? Oder gibt es beides, nur dass sie nicht in aller Freiheit die Drähte ziehen können, etwa weil sie als Charaktermasken ihrerseits irgendwie im Rahmen der Kapitalakkumulation und deren objektiven Zwängen handeln? Letztere Annahme rechtfertigt das salopp vorangestellte »natürlich«, welches andererseits seine Genossen besänftigen soll. Die Quintessenz moderner Verschwörungstheorie ist seit längerem gerade, dass die Verschwörer auf zahlreiche Subsysteme zurückgreifen müssen, die jeweils gar nicht eingeweiht sind und ihren eigenen Gesetzen folgen. Die Maxwell’sche Wende der Verschwörungstheorie besteht bekanntlich darin, dass man das gesamte Kraftfeld der Welt für seine Verschwörung nutzen, aber eben auch voraussetzen und wirken lassen muss. Pyramidenförmige Verschwörungen gibt es nur als Teilmoment, zumal es viele einander feindliche Verschwörungen im selben gesellschaftlichen Kraftfeld gibt. Und weil das Wort Verschwörung immer nach Blutschwur klingt: Das Wort Konspiration oder einfach nur Politik ist treffender.

Aber konkreter: Ein wenig geheimes Treffen einiger Supermächtiger fand Ende 2019 statt. Vielleicht waren es auch nur deren leitende Angestellte und manch Veteran war auch dabei, etwa das Reptil Kissinger. Oder es handelte sich nur um einige leitende Charaktermasken dieser ominösen abstrakten Herrschaft, die wir gerne Kapitalismus nennen. In jedem Fall waren es echte Menschen aus dem Kreise der Macht selbst. »Ende 2019« also, um mich selbst aus der ersten Ausgabe des Erregers zu zitieren, »verbündete sich die New Yorker Finanzkrake Bloomberg mit dem China Center for International Economic Exchanges (CCIEE) und sie veranstalteten eine Konferenz in Beijing. Viele Panels, viel Langeweile. Dort haben sich Xi Jingping und Henry Kissinger die Hände gereicht. Bill Gates durfte reden und Zhou Xiaochun trat auf. Wir aber hören Tidjane Cheick Thiam, gefragt von Susan ‚Zanny‘ Minton Beddoes. Zanny: ‚Ich will mich jetzt an Dich wenden, damit du eine Perspektive aus Europa gibst.‘ Tidjane Cheick Thiam: ‚Ich denke, der Druck liegt auf den entwickelten, reifen Wirtschaften, bei denen es einen Cocktail aus Demographie – die bei einer alternden Bevölkerung negativ ist – und unbezahlbaren Sozialversprechen gibt. Das ist eine toxische Kombination und jeder weiß, dass irgendwie und an irgendeinem Punkt jemand sagen muss: des Kaisers neue Kleider, und dann muss es da eine Art von politischer Übereinkunft und Bereinigung geben. Und persönlich glaube ich, dass das passieren wird, ich glaube nur, dass das ein schmerzhafter Prozess wird.‘« Dieser Hohepriester des Kapitals – er war damals CEO einer großen Schweizer Bank – mag sich als objektive Stimme eben der Kapitalgottheit ausgeben, der nur ausspricht, was diese Gottheit selbst verlangt, aber andererseits ist er Mitglied der Group of Thirty, einem illustren Kreis, der im Wesentlichen, aber nicht nur, aus ehemaligen Notenbankern besteht. Auch dieser Kreis ist nicht geheim, man kann ihn auf Wikipedia zusammen mit einer Liste aller offiziellen Mitglieder finden. Er wird manchmal geheim tagen, was sein gutes Recht als exklusive Privatorganisation ist. Und er ist gegebenenfalls auch nicht besonders wichtig, so wenig wie die erwähnte Tagung in Beijing: Es gibt viele solche Knotenpunkte der Macht. Aber was sein Mitglied Tidjane Cheick Thiam sagt ist ganz richtig und jetzt, zwei Jahre später, sehen wir, wie unter dem Deckmantel einer falschen Pandemie tatsächlich damit begonnen wurde, sowohl die Pensionsfrage als auch die Frage der unbezahlbaren Sozialversprechen zu klären, zu denen auch das Krankensystem gehört. Und dass man dabei sogar im Namen der Gesundheit unserem Gesundheitssystem an den Kragen gehen kann, weil es bei einer alternden Bevölkerung zu teuer sei – ein wenig diabolisch ist der Plan, den Arzt durch die Spitze zu ersetzen, schon. Und er ist nur ein Aspekt der gewaltigen Umstrukturierung des weltweiten Kapitalismus, inklusive der Abdankung der USA als absolute Weltmacht und ihres Dollars als Weltgeld. Man soll solche Kleinigkeiten nicht auf einzelne Akteure schieben und es gibt dafür sehr objektive Gründe innerhalb eben des krisenhaften (westlichen) Kapitalismus. Die einzelnen Akteure sind zudem oftmals erbitterte Feinde und eben nur durch einige objektive und gemeinsame Probleme miteinander verbunden, die sie dann mitunter auf Treffen wie demjenigen in Beijing zusammenbringen. Aber vieles ergibt mehr Sinn, wenn man als Hypothese einmal stehen lässt, dass die Königsgrippe eine Operation der Vertreter des ideellen und weltweiten Gesamtkapitals ist, und vieles wird klarer, wenn man die Machenschaften solcher und anderer Konspirationisten der Herrschaft analysiert.

3) Du sollst kein Querdenker sein

Das dritte Gebot der Gatekeeper ist die Abgrenzung von der Querdenkerei. Es folgt zwanglos aus den ersten beiden Geboten: Hat man die Pandemie akzeptiert und auch den Widerwillen gegen Verschwörungen, kann man letztlich nur punktuell bestimmte Übertreibungen kritisieren, der gemeinsame Boden mit der gegenwärtigen Herrschaft bleibt. Umgekehrt, sobald man einmal vom Virus losgekommen ist und die Entwicklung der letzten zwei Jahre davon unabhängig rekapituliert, man wird geradezu auf die Straße getrieben. Und nur wer dabei die Konspiration der Herrschaft kennt, möchte seinerseits konspirieren. Man wird Bundesgenossen suchen und sei es zunächst nur, um ungestört ein Gespräch über das Grauen führen zu können ohne einen dieser Moraltrompeter, mit denen man immer nur über die Gefahr durch Viren reden kann. Und die einzigen, die all das Grauen irgendwie benennen dürfen, sind eben die zu Coronaleugnern abgestempelten Leute. Oder besser umgekehrt ausgedrückt, alle, die es benennen, werden zu Coronaleugnern erklärt. Darin besteht das Dilemma derer, die innerhalb der irgendwie radikalen Linken Kritik sowohl an dem fatalen Kurs ihrer Genossen als auch an der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung üben: Das internalisierte Verbot jeglicher offenen Flanke gegenüber den Querdenkern verhindert effektiv, dass man sich überhaupt in die Auseinandersetzung begeben und einmischen kann, denn sobald man etwas gegen die Impfung oder wenigstens gegen die für aufrechte Pflegerinnen schon geltende Impfpflicht sagt oder gar unternimmt, oder sobald man das Verbot, sich zu treffen, tatsächlich bricht, im privaten Rahmen oder auf gemeinsamen Aktionen, dann ist man tatsächlich bereits ein Querdenker. Denn in solchen gegen den Lockdown gerichteten Taten besteht gerade die praktische Querdenkerei, egal was der einzelne Querdenker dazu sagen und denken mag oder ob er sich überhaupt als Querdenker begreift. Nur so kann man die verallgemeinerte Querdenkerhysterie überhaupt verstehen, denn der ebenso Umfang zunehmende wie konfuse Protest gegen die Zumutungen der letzten Jahre ist ideologisch sehr fragmentiert und hat kaum wirkliche Organisationen oder Gruppierungen hervorgebracht. Schon gar keine, die für sich beanspruchen könnten, diesen gärigen Haufen zu repräsentieren. Insbesondere lässt er sich nicht unter einem Namen subsumieren. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass die explizite Querdenkerstruktur sich dem Ausnahmezustand noch am ehesten organisiert entgegenstellte und damit eine Gefahr für den autoritären Staat zumindest andeutete und spätestens da hört der Spaß endgültig auf. Davon muss der gewöhnliche Linke a priori die Finger lassen, sonst ist er aus dem ihm liebgewordenen Verein draußen. Wie eben Anselm Jappe aus der Zeitschrift Exit, obwohl er bei aller Verve im Grunde alle drei Gebote der Gatekeeper berücksichtigt. Jetzt, da das ganze Viruszeugs durch weitere gewaltige, spektakuläre Krisen erweitert wurde – immerhin droht man uns mit Armut, Kälte, Hunger und sogar Atomkrieg –, beginnen viele aus dem linken Spektrum mit einer halbherzigen Kritik. Sie werden quasi zu Halbschwurblern und sind dabei oft deutlich zaghafter als der hier bemühte Anselm Jappe. Aber es gibt keinen halben Skandal und will man auf der Straße oder auch nur in der sich längst formierenden Gegenöffentlichkeit etwas ausrichten, wird man das Schisma mit den Gatekeepern in den eigenen Reihen suchen müssen, noch bevor man innerhalb der heterogenen Opposition für mehr Klärung sorgen kann. Erst dann wird vielleicht auch die bitter nötige Kapitalismuskritik wieder glaubhafter. Also keine Angst vor der eigenen Courage.

Bild: Pixabay

22 thoughts on “Einige Anmerkungen für halbschwurbelnde Linke, die künftige Gesellschaftskritik betreffend

  1. Naja, wenn man vor lauter theoretischen Haarspaltereien die sich seit Jahren zuspitzende Krise nicht mitgekriegt hat, dann kann das schon mal passieren. Dem hier eher unbedarften radikalen Linken wäre vielleicht aufgefallen, dass die Zeichen 2019 auf rot standen, siehe Turbulenzen beim Repo-​Markt etc. In den letzten Jahren hatte ich mich gewundert, wie man auf erwartbare Proteste bei steigender Arbeitslosigkeit und Armut wohl reagieren würde. Seit 2020 hatte ich die Antwort. Obwohl im Rückblick seit 2019 verstärkt Anstrengungen unternommen wurden vom Geschehen abzulenken und die Spaltung in der Gesellschaft voranzutreiben, z. B. mit dem Thema Klimawandel. 2020 wurde das parallel zu Corona auch durch Themen wie LGBTXYZ, Gendern etc. bewirkt. Und Angst wurde geschürt, welche bekanntermaßen das klare Denken beeinträchtigt. 

    Alles Maßnahmen, um die Ausbildung von wirksamem Widerstand zu verhindern. Dazu braucht es keine Verschwörungstheorie, das dürfte lange bekannt sein, dass das System vermittels seiner Handlanger alles tut, um seine Gegner kaltzustellen. 

    ?

  2. Vor Jahren schrieb ich in einem Kommentar, daß die Verbesserung der Lage der Werktätchen in Deutschland und Europa nur dem Umstand geschuldet sei, daß die sowjetschen Panzer in zwei Wochen an der Rheinmündung stehen würden, sollten soziale Unruhen die Wehrhaftigkeit der NATO erschüttern.
    Doch dann kamen Gorbatschow, Jelzin, Fukuyama und Gerhard Schröder .
    Nun, da die Armee des »Landes auf der Grenze« in sechs Monaten mehr Männer verloren hat als das Heer Ihrer britischen Majestät aktuell zählt, und der Geruch vollgeschissener Windeln auf Brüssel lastet, wäre wohl wieder die Stunde der Linken gekommen.
    Doch die Linke als handlungsfähige Organisation existiert nicht mehr. Schade eigentlich.

    PS: Wenn Ihr wollt, schreibe ich bis Erntedank mal einen Text »1922 bis 2022 – hundert Jahre Bürgerkrieg«, in dem ich diese Gedanken feiner ausführe.

    PPS: Sorry, der Kommentar ist ein wenig offtopic. Doch wie schon gesagt – exellente Analyse, doch: WAS TUN?

  3. Ein prima Artikel
    Große Teile der ehemals Linken pfeifen insgeheim auf Demokratie. Die »Dummköpfe« müssen kontrolliert werden und wir können das jetzt endlich tun, mit Rot-​Grün an der Macht. So ist der Tenor eines Alt-​68er, den ich kenne.
    Tatsächlich ist es nur Ausdruck der eigenen Angst vor dem sozialen Abstieg und die Bequemlichkeit auf anstrengendene Recherche und anstrengenden Protest zu verzichten.
    Es wird Zeit das die Linken aus der selbst geschaffenen, konzernmediengesteuerten Illusion aufwacht und sich eingesteht betrogen worden zu sein.

    1. Gebe Dir voll und ganz recht. Aber…
      in Zeiten wie diesen, erinnere ich mich an ein Interview (von vor vielen Jahren) mit einem afrikanischen Politiker, der die Frage aufwarf, ob Demokratie tatsächlich so erstrebenswert ist. Die Vorherrschaft der Konzernmedien über die Meinung der Massen einerseits, die der Mehrheit über die Minderheit andererseits, waren schon damals seine Argumente. Sein Gegenkonzept lautete auf Konsens. Gemäß den alten Stammesgesetzen in seinem Land, müsse so lange diskutiert werden, bis alle mit dem ausgearbeiteten Kompromiss einverstanden sind. Ob dieses Konzept in westlichen Gesellschaften funktionieren kann? Ich weiß es nicht.

  4. Als langjähriger (kleiner und unbedeutender) Mandatar einer vermeintlich rechten Partei hier in Österreich kann ich nur sagen, DANKE! Für den Artikel einerseits, aber auch für den Geist, den ich aus den Kommentaren dazu herauslese. Alleine die Begriffe »links« und »rechts« sind mir seit ewigen Zeiten zuwider. Wie sehr diese Begriffe eine (gewollte?) Spaltung der Gesellschaft voran zu treiben im Stande sind, musste ich als Lehrer an einer Wiener Schule selbst miterleben als ein Kollege, der, von allen als »scharf links« eingeordnet, zum Direktor wurde. Die Mutation zum wahrhaft rechten Vertreter von Recht und Ordnung dauerte nur wenige Stunden. Wohl eines von vielen Beispielen das zeigt, wie abhängig die eigene Denke von der Position, in der man sich aktuell befindet, ist. Wie anpassungsfähig »Die erfundene Wirklichkeit« ist, mag erstaunen. Evolutionär mag diese Anpassungsfähigkeit aber klar Sinn ergeben. Was bleibt, ist die Suche nach dem Regelwerk, der wir unsere Hardware im Kopf unterwerfen müssen, um einen Konsens zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem Wohl der vielen(!) Gesellschaften herstellen zu können.

  5. Was die Linke, von reformistisch bis radikal, am meisten entgleisen lässt, ist die Un- oder eben besser, Vieldeutigkeit, die Verworrenheit des Geschehens: Viele Gruppen, Mechanismen, ökonomische, kulturelle, politische Stränge wirken in- und gegeneinander; und zwar so, dass sich immer weniger Synergien ergeben, dafür Verknotungen und wechselseitige Blockaden einerseits, Auflösungen und Nichtmehr-​Zueinander-​Passen andererseits.
    Das mörderisch Unzulängliche der bürgerlichen Vergesellschaftung über Institutionen, ohne verständigt zu sein, zeigt sich – in einem Ausmass, das die These der Iron Lady, There is no such thing as society, in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: …not any longer. Possibly.

    Und damit werden allerdings, nicht anders als bei Parteigängern von neoliberalem System und Regierung, fundamentale Erwartungen der traditionellen, der neuen, neueren, neuesten Linken massiv erschüttert, weswegen ihnen die Genoss:innen von gestern, die den Vorgang tapfer in Augenschein nehmen, bereits als vom Glauben Abgefallene, Renegaten, neue Rechte erscheinen (wir diskutieren immerhin in einem Portal, das mit der Freien Linken assoziiert ist, die, offiziell (Mit Nazis redet man nicht!), wie jeder weiss, PSEUDO-​linke Fraktion der QD-Faschos…):

    1. Die Produktivkräfte, der technische Fortschritt, gern auch der bio-​technische, ist unaufhaltsam, da gibts kein Vertun. Zumal wenn man selbst »verwundbar« ist. Die Weisskittelschaft mag korrumpiert sein bis auf die Knochen, die Pharmaindustrie kriminelle Extraprofiteure, die Biopolitik ein Machtinstrument, ABER DIE WISSENSCHAFT! Die Wissenschaft ist heilig. Und gut. Und schon jetzt beinah allmächtig. Und rational. Und Aufklärug. Und Naturbehersrchung. Und Natur ist nicht unser Freund. Kampf. Um jedes Leben. Mit allen Mitteln. Zerocovid!!! ZERO!

    2. Vergesellschaftung gibts seit der Ältesten Stenzeit, Arbeitsteilung auch, beides geht als anthropologische Konstante durch die Geschichte, unverbrüchlich zusammengeschweisst sind wir gerade DURCH diese Teilung, und weil wir auf einander angewiesen sind, funktioniert das auch. (In Gefahr wächst bekanntlich das Rettende..)
    Dass die Teilsysteme eines (derzeit bürgerlichen) Vergesellschaftungs-​Systems anfangen, die ihnen zugelieferten Materien nicht mehr aufzunehmen (um sie nach ihrer Eigenlogik, Eigenregeln zu bearbeiten); dass sie mit den sich türmenden System-​Anforderungen überfordert sind, und sie an andre Systeme auslagern, die dasselbe versuchen (den letzten Sündenbock, beissen die Verantwortlichen-​Such-​Hunde): Dass also, mit einem Wort, die Arbeitsteilung selbst aus den Fugen gerät, und incht nur ihre (marktförmige) Verwaltung (Koordination, Stimulation usw): Das kann nicht sein.
    Ist aber so.

    3. Da Produktivkräfte (Wissenschaft, Technologie) beerbt werden sollen, und ihre »gesellschaftlich«-arbeitsteilige Organisation (»Kooperation«) grundsätzlich als intakt (isso, da muss) unterstellt ist, KANN alles Schlimme nur noch vom Produktionsverhältnis kommen. Das dann grundsätzlich nicht etwa an Überforderung stirbt (die würden wir dann erstmal mit-​beerben), sondern… AN SICH SELBST. Seiner dämlichen (Waren‑, Wert‑, Kapital-)FORM. Ohne die Produktivkräfte entscheidend zu beschädigen, würgt das System sich einfach selbst ab. man kann zusehen. Alle Krisen Ausdruck DER Krise DES Kapitals: Die Profitrate fällt und fällt und fällt.
    (Ich gebe einmal mehr meinen Einwand gegen dieses Theorem zu Protokoll: Die c‑Anteile des ges.Gesamtkapitals müssen (in Abteilung I) ebenso mehrwertträchtig reproduziert werden wie die v‑Anteile (Abt.II). Die Proportion (org.Zusammensetzung) spielt keine Rolle. Klassische fallacy of composition. Vom Einzelkapitalist (der c bloss durchreicht, auch in Abt I) auf die Gesamtheit geschlossen. Die aber reicht nicht durch, sondern reproduziert. Korrekt hätte Profit bezogen werden müssen auf Zeit. Die Zusammensetzung des Gesamtkapitals aus Tranchen unterschiedlicher Umlaufzeit (va zirkulierend vs fix) macht tatsächlich einen Unterschied. Aber dann… müsste der 3.Band nochmal neu geschrieben werden… Die Profitraten fallen aus vielen Gründen (vgl 1. und 2. Aber nicht wg »c/​v«.)

    Verrücktheiten, wie wir sie derzeit erleben, kommen nicht von nichts.
    Die traditionelle Linke verliert den theoretischen Boden unter den Füssen.
    Irgendwie ist auf einmal wieder 1800. Und wir fangen von vorne an.
    (Es wurde aber auch Zeit…)

    1. Als eine, die die einschlägigen Debatten-​Schlachten auf telepolis mit-​ausgetragen hat (das Wort kam damals auf), weiss ich, wie da gekontert wird: Immunsystem – das ist SOZIALDARWINISMUS. Die Schwachen sollen also verrecken?
      Die Schwachen waren am allermeisten – sie selbst. Und was sie forderten, war Solidarität mit IHNEN, vor allem die Raucher forderten das, denn dafür ist DIE WISSENSCHAFT schliesslich da.
      Hinter den ideologischen Festungswällen und dem Unflat, der da über die rechten Angreifer ausgegossen wurde, versteckte sich, erkennbar, oftmals die ganz unwissenschaftliche, unlinke, vor-​politische, vor-​moralische ANGST und Sorge um sich selbst. Darum erübrigte sich irgendwann auch die Prüfung der Sache: BETTER SAFE THAN SORRY! Die eigne Risiko-​Präferenz und Betroffenheit ging vor. Lieber einmal zuviel als zu wenig… Und genau dieses Kalkül geht nicht auf, wenn auf der andern Seite, dem SAFE, eben auch Gefahren lauern. Die nur leider grad nicht so anschaulich im Vordergrund stehen. Massnahmenschäden… Hysterieschäden… Impfschäden…

  6. Danke für diesen Weckruf!
    Mehr Brüderlichkeit, mehr Toleranz als Basis für offene Diskussionen, mehr Synthese!
    – oder unsere Worte und Taten verlieren sich kraft- und richtungslos im Gemenge der allerorten gesäten Spaltung.

  7. Ich finde dies einen sehr erhellenden Artikel. Aber …

    Warum sich die Linken einfach so auf das Dogma 1b) »Du sollst die Pandemie nicht leugnen« festlegen, das bleibt in den obigen Ausführungen offen.

    Und das ist doch wirklich rätselhaft: Warum haben die Linken ein massives Vorurteil in der Frage, ob wir seit Frühjahr 2020 eine echte (!) Pandemie zu bewältigen haben? Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Linken zu dieser Frage wohl eine Meinung, aber eben kein Dogma unterhalten.

    Ein mögliches Motiv für diese Haltung findest sich oben bei franziska angedeutet (24. August 2022 um 12:35 Uhr):

    »Die Schwachen waren am allermeisten – sie selbst. Und was sie forderten, war Solidarität mit IHNEN, …«
    »… die ganz unwissenschaftliche, unlinke, vor-​politische, vor-​moralische ANGST und Sorge um sich selbst. … BETTER SAFE THAN SORRY! Die eigne Risiko-​Präferenz und Betroffenheit ging vor. Lieber einmal zuviel als zu wenig …«

    Demnach würde sich eine Mehrheit der Linken als potentielles Opfer des neuartigen Virus‹ sehen und befürchten, dass, sobald eine echte Pandemie geleugnet wird, sie zukünftig als Opfer allein mit sich und der tödlichen Krankheit gelassen wird – ohne Intensiv-​Station, aber mit schwerer (schwerster!) Lungenentzündung.

    Wäre das eine mögliche Erklärung? Ich würde denken: So blöd können doch nicht mal die Linken sein. Gemäß offizieller Auskunft des britischen Gesundheitsministeriums hat das Virus SARS-​CoV‑2 eine Infektions-​Sterblichkeit von rund 0,096 %:

    http://​web​.archive​.org/​w​e​b​/​2​0​2​1​0​9​3​0​2​1​5​0​1​7​/​h​t​t​p​s​:​/​q​u​e​s​t​i​o​n​s​-​s​t​a​t​e​m​e​n​t​s​.​p​a​r​l​i​a​m​e​n​t​.​u​k​/​w​r​i​t​t​e​n​-​q​u​e​s​t​i​o​n​s​/​d​e​t​a​i​l​/​2​021 – 07-​12/​31381/​

    Und deshalb macht sich die Mehrheit der Linken in die Hosen? Kann ich mir nicht vorstellen – was ja vielleicht einfach nur beweist, dass ich keine Ahnung von den Linken habe.

    Trotzdem würde ich sagen: So interessant der Hinweis von franziska oben ist, wenn dies wirklich als Erklärung taugen soll, dann brauchen wir handfeste Belege – nicht bloß anekdotische Evidenz. Allgemein: warum ist es für die Linken so wichtig, dass niemand das Vorherrschen einer echten Pandemie in Frage stellt?

    1. Mein Vermutung ist: Es ging um Lagerbildung. Die Partei die Linke grenzt sich von der AfD ab. So kann es eine besonders schöne Lagerbildung geben. Es geht dann in der Folge nicht mehr um Fakten bezüglich der Pandemie, sondern um ideologische Verortung, bzw. moralische Verortung. Das ist aber natürllich nur 1 Aspekt von vielen anderen!

      1. Ja, interessante Hypothese. Ich habe etwas ähnliches gelesen in Bezug auf die USA und die Abgrenzung von Trump. Trump wollte zur Normalität zurückkehren, z. B. die Lockdowns vorzeitig abbrechen, er hat jenes Medikament mit diesem unaussprechlichen Namen (Hydrox …?) gegen COVID-​19 empfohlen, und da mussten sich die Anhänger der demokratischen Partei im Wahljahr 2020 maximal abgrenzen: Also Hydrox… ist des Teufels und Lockdowns sind das A und O aller Pandemie-​Bekämpfung. Ja, wäre gut möglich.

  8. Verzeihung, aber ich denke, dass die Antwort auf die Frage, warum die meisten etablierten Linken »mitgemacht« haben (und weiterhin mitmachen), ziemlich simpel ist (und mit »etabliert« meine ich sowohl diejenigen, die in der PdL sind, als auch diejenigen, die seit Jahren/​Jahrzehnten in irgendwelchen ›linken‹ Projekten/​Initiativen/​Gruppen etc. ›arbeiten‹):

    1. Hypthese: Die verfügen über relativ wenig naturwissenschaftliche Kenntnisse oder auch einfach nur über relativ wenig Medienkompetenz und Aufklärungseichung.
    Stattdessen driften diese Menschen seit Jahren/​Jahrzehnten in ihren mehr oder minder abgesicherten Lebenswelten hin und her (und denken, sie wären kosmopolitisch-»divers«, wenn sie mal ein paar Wochen sich als HilfslehrerIn in »Deutsch als Zweitsprache«-Kursen für Flüchtlinge ergehen).
    Da ist es doch kein Wunder, dass diese Menschen a) auf die Umsetzung des Panik-​Papiers der Bundesregierung hemmungslos hereinfallen und b) außerdem noch denken, sie müssten sich – schon aus »moralischen« Gründen (die ja heute vor allen argumentativen Gründen Vorrang haben) – von der AfD absetzten (die bekanntlich anfangs totale Panik machte, als die Bundesregierung/​Drosten noch keine machten, und die, sobald die Regierung/​Drosten Panik machten, aufs Gegenteil umschwenkte).

    2. Hypothese: Diese etablierten Linken können – aufgrund ihrer unter 1. genannten erkenntnistheoretischen bzw. kognitiven Defizite – jetzt nicht mehr zurück. Würden sie der Erkenntnis ihres Versagens – ihres persönlich-​menschlichen Versagens und ihres Versagens als »Linke« (die unzählige Alte mutterseelenallein krepieren ließen, die Millionen zusätzlicher Hungertote im Trikont zu verantworten haben, die mehrere Kinder- und Jugendlichen-​Generationen auf dem Gewissen haben, die die Pharma- und nun auch die Rüstungs- und Energiekonzerne mit Geld füttern, wie keine teutsche Regierung je zuvor es sich allein getraut hätte, die aus den Medien goldene Kühe zum Melken durch die Eliten und zum Anbeten durch die Linken selbst gemacht haben, und die vermutlich noch nie dazu bereit waren, Linkssein als das ernst- und für sich anzunehmen, was es ist: anstrengendstes Hinterfragen von allem und jedem) – würden diese Menschen also der Erkenntnis ihres kompletten Versagens Raum in ihrem Kopf, in ihrem Leben geben,
    müssten sie als Mensch persönlichen Bankrott anmelden.
    (Ich kann nur jeden dazu ermutigen! Denn das ist besser, als bis zum Tod mit einer derartigen Lebenslügen zu leben. Und ich möchte daran erinnern: Wir Menschen sind großzügig, empathisch und liebevoll. Wir akzeptieren Fehler, auch große, wenn sie ernsthaft erkannt wurden.)

    3. Hypothese: Vermutlich ist es noch simpler: Die waren immer schon bigott, verlogen und verblendet. (Dafür spricht, was ich im persönlichen Bekanntenkreis erlebt habe.)

    1. Deine Hypothesen 1 und 2 finde ich plausibel. Bei Deiner Hypothese 3 habe ich Bauchschmerzen, aber eher aus methodischen Gründen.

      Wenn man bei derart schwerwiegenden Phänomenen (Du hast das Versagen der Linken oben treffend gekennzeichnet), wenn man bei einem solchen Jahrhundert-​Versagen als schlichte Erklärung akzeptiert: »Die sind halt bigott, verlogen und verblendet«, dann verleitet einen das dazu, bei anderen ›Klöpsen‹ eben auch einfach nur noch zu erklären: »Die sind halt bekloppt, alle. Ende der Erklärung.«

      Es verleitet einen dazu, es sich einfach zu machen und gar nicht mehr wirklich nach tieferen Gründen und Zusammenhängen zu suchen. Andererseits: manche Dinge sind halt nicht so furchtbar komplex, sondern eher simpel …

  9. Ich möchte noch etwas ergänzen.
    Bevor wir über das Versagen der Linken sprechen – oder das der Gesellschaft, ihrer Institutionen: Regieruing, Behörden, Justiz, Medien – sollten wir uns vielleicht einmal fragen: Wie hätten sie denn nicht versagen sollen, angesichts dessen, dass DIE WISSENSCHAFT und mit ihr DIE ÄRZTESCHAFT und ihre Fachgesellschaften sich dieser Herausforderung nicht gewachsen gezeigt haben? Wie ist es denn möglich, selbst wenn man Korruption, und eine mit anscheinend unbegrenzten Mitteln operierende Intrige eines Philanthrokapitalisten-​Klüngels (Gates, Wellcome), des Militärs und der Dienste unterstellt – wie war, wie ist es möglich, dass hier keine Korrektur erfolgte?
    Ich sage, SO ist es möglich:
    Wir haben es in den Wissenschaften von den Systembereichen unserer Umgebung (Geophysik, Biologie) nicht mit technisch verwertbaren Erkenntnissen zu tun, stattdessen va mit Prognosen, oft Warnungen, verbunden mit Massnahmen zur Gefahrabwehr. Hier ist es keine »Nutzung«, wie bei einem technischen Gerät, das »funktioniert«, auch ohne dass man weiss wie: Dass eine Schadprognose sich bewahrheitet, wollen wir lieber nicht abwarten. Aber: Die Systeme weisen eine Vielzahl von Aspekten auf, die Wissenschaften zerfallen in ebensoviele Sub-​Disziplinen, die viel Aufwand treiben müssen, um an ihren Gegenstand, herausgelöst aus seinem Zusammenhang,überhaupt ranzukommen (vieles dabei ist zu gross, oder zu klein und komplex, um einfach untersucht werden zu können). Alles einfache ist obendrein bereits erforscht. Darum werden die Studien teuer, darum Drittmittel und die Einmengung forshcungsfremder Interessen. Die Studienergebnisse zusammenzuführen würde nocheinmal das Doppelte oder Dreifache des allein schon für sie betriebenen Aufwands erfordern: Forscher widmen sich dem, so wie der Überprüfung der Kollegen-​Resultate oder dem Entwerfen von Forschungsstrategien unter Fächer-​übergreifenden Gesichtspunkten, in ihrer Freizeit. Sponsoren, praktisch an den Forschungsresultaten Interessierte kreieren sich dann, weil sie überschaubare Experten-​Auskünfte benötigen, eine zuständige Global-​Disziplin: Virologie; Klimaforschung, der eben genau diese Übersicht zugetraut wird – nicht weil sie sie HAT, sondern wiel man das BRAUCHT.
    Das Zutrauen und die ständige Ermunterung (auch finanziell) von aussen übersetzen sich in Selbstvertrauen; nach einer Generation glauben die Wissenschaftler dieser Disziplin, tatsächlich über diese Übersicht zu verfügen. Si ehaben Anleihen (aber nicht mehr) bei Nachbardisziplinen gemacht, und sich ein Bild, etwa von Virus-​Epidemie, gemacht. MIt dem Brustton der Überzeugung können daher Virologen vor Kameras treten und in einem 1‑minütigen Interview Grenzen zu 5 Nachbarfächern locker überschreiten, von denen sie leider so gut wie nichts wissen – ausser die Standard-​Thesen, die man sich in ihrem Fach zur vereinfachten Übersicht zurechtgelegt hat: Epidemiologie (exponentielle Ausbreitung), Immunologie (Seroprävalenz), Labormedizin (TestenTestenTesten), Infektiologie (ImpfenImpfenImpfen), Hygiene (Masken usw).
    Von Klinik (Pneumologie, Intensivmedizin, Geriatrie, Pädiatrie ua) Pathologie, Pharmakologie, Pflegewissenschaft ganz zu schweigen.
    Nichts und niemand aus diesen Fächern ist geeignet, quasi unautorisiert das Selbstbewusstsein aufzubringen, das diese Leute in aller Unschuld (denn es sit ihnen aufgedrängt worden) beflügelt: Die Bhakdis, Yeadon, oder Great Barrington Unterzeichner, MÜSSEN Scharlatane sein; an ihnen wird bemerkt, als Regel, wozu die Virologen die Ausnahme bilden, die diese Regel bestätigt. Die massnahmenkritische Öffentlichkeit hat sich zweieinhalb Jahre durch den Wust, das Gestöber der Einzelerkenntnisse gearbeitet, ohne die durch und durch laienhaften Vorkenntnisse, die immerhin die studierten Mediziner oder Statistiker unter ihnen einbringen konnten. Man kann daran abschätzen, welche Art integrativer, forschungs-​planender, forschungs-​prüfender und ‑korrigierender Aktivität, die sie zugleich auf gesellschaftlich interessierende Fragestellungen orientiert, fehlt. Sie fehlt komplett. Sie wird IMMER fehlen. Weil hier eine Grenze DER WISSENSCHAFT erreicht ist, nicht in Gestalt einer Wand, an der alle Erkenntnisversuche abprallen, sondern eines Stoffs, der immer zäher, dunkler, verworrener sich darstellt, je tiefer man in ihn eindringt.
    Vom Staatsversagen, vom Medienversagen, und vom Versagen der Zivilgesellschaft haben wir dann noch garnicht gesprochen. Achso. Und dann noch die Linken. Die sind allerdings, gemessen an den Aufgaben, die sie eigentlich lösen wollen, die allergrössten Versager.
    (Das war die nachzuschickende Einleitung, das Prequel gewissermassen, zu meinem Beitrag oben…)
    PS: Was ich mir an »Narrativkritik« persönlich zusammengereimt habe, ist hier nachzulesen:
    https://​bewusst​-leben​.org/​1​4​-​c​o​r​o​n​a​-​d​e​n​k​-​m​i​t​/​7​9​-​b​e​g​r​u​e​n​d​u​n​g​-​d​e​r​-​m​a​s​s​n​a​h​m​e​n​k​r​i​tik

  10. Fallacy of composition?

    “My theorem, the so-​called Okishio theorem, is a comparative statics result.
    Therefore, it has no realistic meaning if capitalists‹ competition does not establish a new equilibrium following the introduction of
    a new production method.” (Okishio, 2000)

    1. Das gehörte wohl eher oben hin, egal. Ich wollte das Ding nicht in alle Finessen austappen, nur mal den Hinweis für Kapital-​Leser geben, dass man auf diese Kritik als aufmerksamer Mitdenker im Marxschen System selbst verfallen kann. Wenn man sich nämlich ans Reproduktionsschema erinnert. Die »Fallacy« wird übrigens im Wikipedia-​Artikel zum Okishio-​Theorem wunderbar in ihrer ganzen trübe-​trügerischen Plausibiität SO wiedergegeben:
      »Begründet wird dies traditionellerweise (damit), dass nur »lebendige Arbeit« Mehrwert schaffen kann – lebendige Arbeit wurde aber eingespart – und dass das konstante Kapital, die Ausgaben für Investitionsgüter, keinen Wert schaffen, sondern lediglich ihren Wert an die Endprodukte abgeben.« Voilà.
      Die oben, unter der Titelzeile (Menü »Material«) verlinkte Broschüre DARK WINTER arbeitet, wenn ich das richtig erinnere, mit dem »Gesetz«, explizit oder im Hintergrund. (Quasi als Alternativangebot wird dort dann auch noch das, Verzeihung, unsägliche Mehrwert-Realisierungs»problem« aufgewärmt (Widerlegungsansatz: Mehrwerteigner verschiedener Branchen tauschen Überschussprodukte gegen solche anderer Branchen, eine absolut geschlossene Geselslchaft ist das). Aber wurscht, wie, an irgend so einer Krise wird das verdammte System doch krepieren… Die Zentralisierung fehlt noch. Und der ausbleibende Arbeiterkonsum. Gern wird auch die »Finanzialisierung« hergenommen, und die Fantastilliarden-​Derivate-​Schulden (?), die nie zurückgezahlt (?) werden können… )

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